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Wahre Geschichten: Erinnerungsreihe in der “Online-Bibliothek”

Wahre Geschichten: Erinnerungsreihe in der “Online-Bibliothek”

Als das Projekt “Humanitäre Geste” startete, wurde uns schnell klar, dass es nur wenige Dokumente, Erinnerungen, Videos und Aufsätze zur Leningrader Blockade in deutscher Sprache gibt. Aus diesem Grund beschlossen wir, verschiedene Materialien zu übersetzen und in der “Online-Bibliothek” auf unserer Projektwebsite zu veröffentlichen. Mittlerweile umfasst diese schon über 20 Publikationen aus unterschiedlichen Kategorien, jede Woche kommen neue Materialien hinzu.

Im August und September 2020 haben wir fünf besondere Texte veröffentlicht: fünf wahre Geschichten, Erinnerungen an die Tage der Blockade und das Leben nach dem Krieg. Aufgezeichnet wurden sie von Wjatscheslaw Narskij, Mitglied des Verbandes der Moskauer Journalisten, Autor und Leiter des Projekts “Die lebendige Stimme des Sieges”. Dieses Projekt existiert bereits seit dem Jahr 2014. Seit Hauptanliegen ist es, die Erinnerung an den Großen Vaterländischen Krieg durch die Aufzeichnungen von Erinnerungen und Interviews von Kriegsveteranen – Frontsoldaten, Arbeitende aus dem Hinterland, Einwohner des belagerten Leningrad, ehemalige KZ-Häftlinge und Kinder des Krieges – zu bewahren. Neben den Interviews dreht das Projektteam auch Videos, gibt Bücher und Informationsbroschüren heraus, betreibt Gruppen in sozialen Netzwerken und hält den Kontakt zu den Zeitzeugen.

In unserer “Online-Bibliothek” stellen wir die Geschichten fünf verschiedener Protagonisten vor. Sie waren noch Kinder, als der Krieg begann. Die Erinnerungen an diese schrecklichen Tage, die das kindliche Gedächtnis bewahrt hat, sind aber nach wie vor lebendig. Sie alle berichten von den Bombardierungen, der beißenden Kälte, dem Hunger und der Reihe von Verlusten und Entbehrungen. Die Kindheit im Krieg währte nicht lange: Schon früh kam man mit Pflichten und schwerer Arbeit in Berührung. Ninel Alexejewna Nesterowa (geb. Makarowa) erinnert sich daran, dass mitunter eben dies dabei half, alle Lasten zu ertragen und sich von den schrecklichen Gedanken abzulenken. Sie erinnert sich daran, dass ihr, einem elfjährigen Mädchen, zu Beginn nicht klar war, welche Schrecken ein Krieg mit sich bringen kann. Anatoli Anatoljewitsch Jefimow hingegen erwähnt, dass die Kinder bereits ab der ersten Klasse beim Aufräumen der Stadt halfen: Sie gingen nach draußen, suchten Müll zusammen und “sammelten Fragmente der zerstörten Häuser von der Fahrbahn auf”.

Alle Protagonisten beschreiben ihre Kindheit vor dem Krieg als eine sehr glückliche Zeit. Alle Verwandten und Geschwister waren in der Nähe. Als der Krieg begann, verabschiedeten sich die Kinder gerade in die Ferien. Plötzlich aber veränderte sich alles. Die Väter gingen an die Front, viele von ihnen kehrten nicht zurück. Eduard Wladimirowitsch Smurago erinnert sich daran, wie er, nachdem der Vater zur Armee einberufen worden war, nun plötzlich der Mann in der Familie war. Er berichtet über das Leben in Oranienbaum, den ersten Luftalarm und darüber, wie sich Leningrad zur Zeit der Blockade veränderte. Auch Sergei Romanowitsch Suchorukow schreibt über die Bombardierungen, darüber, wie er mit sechs Jahren nach einem Luftangriff auf einem Ohr das Gehör verlor. Sergei Romanowitsch musste schon früh ohne die Fürsorge seiner Eltern zurechtkommen: Ihm blieben nur sein Bruder und die beiden Schwestern, von denen die ältere gerade einmal 15 Jahre alt war.

Auch an die Evakuierung in verschiedene Landesteile erinnern sich alle Protagonisten: Manche fanden sich im Altai wieder, andere in Kasachstan – und einige sogar in China. Als der Krieg zu Ende war, gewannen gemischte Gefühle die Oberhand: grenzenlose Freude auf der einen Seite, Schmerz und Leid aufgrund der schweren Erinnerungen und Verluste auf der anderen. Ninel Alexejewna und Tatjana Arkadjewna Moissejenko (geb. Kusmina) erinnern sich daran, dass es in der Blockadezeit in der Stadt ein Gefühl der Einheit gab. Die Menschen waren wie ein Ganzes und “fassten einander am Ellbogen”, weshalb die Stadt standhielt.

Schon bald veröffentlichen wir in der “Online-Bibliothek” eine Reihe von Video-Interviews, die von den Mitarbeiter/-innen des Museums “Newskaja Sastawa” durchgeführt wurden. Dieses Museum erforscht und bewahrt die Geschichte des Sankt Petersburger Newski-Bezirks. Anlässlich des 75. Jahrestags der vollständigen Befreiung Leningrads von der Blockade organisierte das Museum das Projekt “Oral History der Newskaja Sastawa. Die Blockade”. Dies ist eine Reihe aus zehn Video-Interviews mit Einwohner/-innen des Newski-Bezirks, welche die Blockade im Kindesalter erlebten. In der “Online-Bibliothek” werden bald drei Videos mit Übersetzung verfügbar sein. Die Protagonistinnen berichten über das Alltagsleben während der Blockade, über Kinderspiele, die Schule, die Evakuierung und die Kindheit in der Kriegszeit.

Wir laden Sie ein, sich mit all diesen Protagonisten näher bekannt zu machen und unsere “Online-Bibliothek” zu besuchen!