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“Leere Rahmen!” Die Eremitage in den Jahren der Blockade

“Leere Rahmen!” Die Eremitage in den Jahren der Blockade

Das Staatliche Eremitage-Museum Sankt Petersburg zählt laut der amerikanischen Ausgabe der Zeitschrift National Geographic zu den TOP 10 der wichtigsten Kunstmuseen und -galerien der Welt. Insgesamt verfügt die Eremitage über knapp 3,2 Millionen Exponate, die auf etwa 230 000 m2 Fläche (in Ausstellungs- und Archivräumen) untergebracht sind. Das Museum gehört zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten von Sankt Petersburg und ist mit seinen unzähligen Kunstschätzen ein wahrer Magnet für russische und ausländische Touristen. Natürlich gingen auch an der Eremitage die schweren Kriegsjahre und die Leningrader Blockade nicht spurlos vorbei: Aus diesem Grund ist der heutige Artikel dem Schicksal der Eremitage und ihrer Exponate während der Blockadezeit gewidmet, wobei wir auch einen Blick auf die über 250-jährige Geschichte des Museums werfen werden.

Den Grundstein für die Kunstsammlung der Eremitage legte Katharina die Große, Kaiserin von Russland, im Jahr 1764 mit dem Kauf der Kollektion des Berliner Unternehmers Johann Ernst Gotzkowsky. Sie kaufte insgesamt 225 Gemälde vor allem flämischer und holländischer Meister. Gotzkowsky hatte sie ursprünglich für Friedrich den Großen erworben, der jedoch von seinem Kaufangebot zurücktreten musste, da der Siebenjährige Krieg die preußische Staatskasse stark belastet hatte. 

Katharina die Große begründete nicht nur die Kunstsammlung der Eremitage, sondern auch deren Gebäudekomplex. Nach ihrer Krönung in Moskau kehrte Katharina im Herbst 1763 nach Sankt Petersburg zurück und nahm ihre Wohnung im Winterpalast, dem wohl berühmtesten der heutigen Gebäude der Eremitage. Für ihre Kunstsammlung, die Katharina Stück für Stück erweiterte, gab sie schon bald weitere Gebäude in Auftrag: Im Jahr 1775 wurde die Kleine Eremitage fertiggestellt, in der die Kaiserin fröhliche Abendveranstaltungen feiern und die ersten von ihr erworbenen Gemälde ausstellen ließ. Diese waren jedoch nicht der Öffentlichkeit zugänglich, sondern ausschließlich der kaiserlichen Familie und ihren Gästen vorbehalten. Ende der 1780er Jahre kamen noch die Große bzw. Alte Eremitage und das Eremitage-Theater hinzu. Erstere beherbergte die kaiserlichen Bibliotheken sowie weitere Kollektionen, letzteres diente als Aufführungsstätte der schon zur Tradition gewordenen Theaterstücke am russischen Kaiserhof. Die Eremitage erweist ihrer Gründerin bis auf den heutigen Tag den zuständigen Tribut, indem sie alljährlich ihr Gründungsjubiläum am 7. Dezember feiert – dem Tag der heiligen Katharina.

Einen großen Schritt in der Geschichte der Eremitage markierte der 5. Februar 1852. An diesem Tag nämlich ließ Kaiser Nikolaus I. das von ihm in Auftrag gegebene Gebäude der Neuen Eremitage eröffnen. Das im Stile des Historismus errichtete Bauwerk verfügte über einen separaten, mit Atlanten geschmückten Eingang, der es ermöglichte, die Kunstsammlung der Eremitage und die Residenz der Zaren räumlich zu trennen. Nikolaus I. machte damit die Gemälde erstmals öffentlich zugänglich – das erste Kunstmuseum Russlands war entstanden.

Das 20. Jahrhundert schließlich brachte einschneidende Veränderungen: Im Zuge der Februarrevolution von 1917 war Zar Nikolaus II. zunächst zur Abdankung gezwungen worden. Anschließend wurde er mit seiner Familie unter Hausarrest gestellt und später ermordet. Am Abend des 7. November 1917 – dem Tag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution – wurden die Minister der Übergangsregierung im Winterpalast festgenommen. Das Gebäude wurde von den Kanonen der gegenüberliegenden Peter-und-Paul-Festung beschossen, aber nicht nachhaltig beschädigt. Auch die Kunstsammlung wurde nicht in Mitleidenschaft gezogen – direkt nach der Machtübernahme der Bolschewiki wurde ein Trupp zur Bewachung der Eremitage abbestellt. Bereits am 12. November 1917 erklärte Anatoli W. Lunatscharski, der Volkskommissar für Bildung in der sowjetischen Regierung, den Winterpalast und die Eremitage zu staatlichen Museen. In den Sälen der früheren Zarenresidenz wurden nun Filmvorführungen, Konzerte und Vorlesungen veranstaltet. Schon bald eröffneten die ersten Ausstellungen, zudem wurde im Winterpalast ein Museum der Oktoberrevolution eingerichtet, das bis zum Beginn des Großen Vaterländischen Krieges bestand.

Mit Ausbruch des Krieges am 22. Juni 1941 standen die Mitarbeiter der Eremitage vor einer gewaltigen Herausforderung: Die Museumsschätze mussten evakuiert werden, um sie vor der heranrückenden deutschen Armee in Sicherheit zu bringen. Gemeinsam mit vielen freiwilligen Helfern verpackten die Eremitage-Angestellten die Kunstwerke, um sie per Güterzug in den Ural zu transportieren. Noch im Sommer 1941 verließen zwei Güterzüge Leningrad in Richtung Swerdlowsk1 – sie erreichten ihren Bestimmungsort am 6. bzw. 30. Juli 1941. Die Arbeiten zur Zusammenstellung des dritten Evakuierungszuges liefen bereits, als die Deutschen am 30. August 1941 Leningrads letzte Eisenbahnverbindung kappten. Den Mitarbeitern der Eremitage und den Freiwilligen war es gelungen, über eine Million Exponate zu evakuieren (von denen später übrigens kein einziges verloren ging!). In Swerdlowsk wurden die Kunstschätze in der Bildergalerie sowie in Räumlichkeiten der römisch-katholischen St.-Anna-Kirche und des Antireligiösen Museums2 untergebracht. Die notwendigen Bedingungen zur sachgemäßen Aufbewahrung der Exponate erfüllte nur die Bildergalerie, weshalb dort die mit dem ersten Güterzug evakuierten Kisten mit den wertvollsten Kunstwerken gelagert wurden. Mit dem zweiten Güterzug waren Mitarbeiter der Eremitage nach Swerdlowsk gekommen, welche den Wachdienst bei den Exponaten versahen und deren fachgerechte Lagerung beaufsichtigten. Trotz der insgesamt schwierigen Bedingungen setzten die Eremitage-Angestellten auch in der Evakuierung ihre wissenschaftlichen Tätigkeiten fort: Sie schrieben Dissertationen und Monografien, hielten Vorträge und organisierten sogar eine zeitweilige Ausstellung zum Thema “Die militärische Tapferkeit des russischen Volkes”.

Auch die Arbeit der Eremitage-Mitarbeiter, die weiterhin in Leningrad beschäftigt waren, war mit der Verpackung und Evakuierung der wertvollsten Exponate nicht getan: Die verbliebenen Museumsschätze mussten sachgemäß aufbewahrt und vor der Zerstörung bzw. dem Zerfall gerettet werden. Mehr noch – es kamen noch zahlreiche weitere Kunstwerke aus den Vororten Leningrads hinzu, die man vor der Einnahme durch die Deutschen in die Stadt gebracht hatte. Ebenso mussten natürlich die Gebäude der Eremitage – allen voran der riesige Winterpalast – gegen die deutschen Luftangriffe sowie den Artilleriebeschuss verteidigt werden. Eine spezielles Einsatzkommando hielt bei Luftangriffen auf dem Dach des Winterpalasts Wache. Insgesamt wurde die Eremitage von 30 Artilleriegeschossen und zwei Fliegerbomben getroffen. 20 000 Quadratmeter Glas in den Fenstern und Lampen zerbrachen, Wasserleitungen und Heizung wurden komplett zerstört. Offenbar beschossen die Deutschen die Eremitage gezielt, wie der damalige Direktor der Eremitage, Jossif Abramowitsch Orbeli, im Jahr 1946 beim Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher aussagte:

“Die Vorsätzlichkeit des Beschusses und der Schäden, welche die Eremitage während der Blockade durch Artilleriegeschosse erlitt, war für mich, ebenso wie für alle meine Mitarbeiter, klar ersichtlich. Diese Schäden wurden nämlich nicht zufällig durch ein bis zwei Angriffe beigefügt, sondern kontinuierlich, und zwar während des methodischen Beschusses der Stadt, den wir im Laufe eines Monats beobachten konnten.”3

Neben dem Beschuss und den Bombardierungen stellte Wasser die größte Bedrohung für die Kunstwerke der Eremitage dar. Regelmäßig kontrollierten die Angestellten den Zustand der Exponate, um sie, falls notwendig, zu trocknen, zu reinigen oder zu restaurieren. Wie es während der Blockade in diesem weltberühmten Museum aussah, illustriert der Bericht von Pawel Filippowitsch Gubtschewski, den Daniil Granin und Ales Adamowitsch in ihrem “Blockadebuch” festgehalten haben:

“Wie sahen die Säle aus?”

“Leere Rahmen! Das war eine weise Anordnung Orbelis – alle Rahmen an Ort und Stelle zu belassen. […] Während des Krieges hingen die Rahmen da wie leere Augenhöhlen. In diesen Sälen habe ich mehrere Führungen veranstaltet.”

“Vor den leeren Rahmen?”

“Ja.”

“In welchem Jahr?”

“Das war im Frühjahr, etwa Ende April ´42. In einem Fall waren es Teilnehmer eines Lehrgangs für Unterleutnants. Die Offiziersschüler hatten uns geholfen, das kostbare, prächtige Material zu retten, das im Wasser stand. […] Dann führte ich diese Jungen aus Sibirien durch die Eremitage, vorbei an den leeren Rahmen. Das war die seltsamste Führung meines Lebens. Auch leere Rahmen können beeindrucken, das weiß ich jetzt.”4

In den Höfen und Gärten der Eremitage wurden zur Zeit der Blockade Gemüsegärten angelegt, welche halfen, die kargen Lebensmittelrationen der Leningrader aufzubessern. Zwölf Kellerräume des Museums wurden zu Luftschutzkellern umfunktioniert, in denen zeitweilig knapp 2 000 Menschen lebten: nicht allein Angestellte der Eremitage mit ihren Familien, sondern auch bekannte Wissenschaftler und Künstler.

Ganz wie ihre nach Swerdlowsk evakuierten Kollegen setzten auch die in Leningrad verbliebenen Mitarbeiter der Eremitage trotz aller Widrigkeiten ihre wissenschaftliche Tätigkeit fort. Im Oktober 1941 fand in der Eremitage eine Versammlung zu Ehren des 800. Geburtstags des aserbaidschanischen Dichters Nezami statt, bei der Vorträge gehalten und Gedichte vorgetragen wurden – sogar eine kleine Ausstellung wurde konzipiert. Die Bedeutung der Arbeit für die Mitarbeiter der Eremitage kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden: Vielen von ihnen rettete sie buchstäblich das Leben, denn diejenigen, die in ihre Arbeit vertieft waren, kamen besser mit dem Hunger zurecht.

Als Leningrad am 27. Januar 1944 endlich von der Blockade befreit wurde, begannen in der Eremitage sofort die Arbeiten an der Wiedereinrichtung der Museumsräume. Bereits am 8. November 1944 öffnete eine Ausstellung über die in Leningrad verbliebenen Kunstschätze ihre Pforten – und läutete damit für ihre Besucher den Übergang zur Friedenszeit, zur Wiederherstellung des normalen Lebens ein. Im August 1945 fasste die Regierung der Sowjetunion den Beschluss zur Rückevakuierung der Museumsexponate. Schon im Oktober 1945 erreichten die Züge aus Swerdlowsk die Eremitage. Innerhalb von 20 Tagen konnte die gesamte Exposition der Eremitage wiederhergestellt werden und am 4. November 1945 schließlich konnten die ersten Besucher wiederum alle Schätze der Eremitage bestaunen.

In den 75 Jahren, die seither vergangen sind, hat die Eremitage viele weitere Kunstwerke erworben. Sogar zwei neue Gebäude sind hinzugekommen: das Menschikow-Palais und Teile des Generalstabsgebäudes, sodass die Eremitage jetzt über insgesamt sieben Gebäude verfügt. Eine spezielle Rubrik auf der offiziellen Website der Eremitage erinnert daran, dass dieser Erfolg vor allem den Mitarbeitern zu verdanken ist, die sich in den Jahren der Blockade mit Leib und Seele für den Schutz des Museums und seiner Schätze einsetzten.


1 Swerdlowsk, das heutige Jekaterinburg, ist etwa 2 200 Kilometer von Sankt Petersburg entfernt.

2 Das Antireligiöse Museum in Swerdlowsk befand sich im ehemaligen Ipatjew-Haus, dem Gebäude, in dem 1918 Nikolaus II. und seine Familie erschossen wurden. Das Haus wurde Ende der 1970er Jahre abgerissen. An seiner Stelle steht heute die “Kathedrale auf dem Blut”.

3 Protokoll der Befragung des Zeugen J.A. Orbeli: http://hermitage-magazine.ru/novosti/blokada-obeshchayu-i-klyanus-govorit-tolko-pravdu/

4 D. Granin, A. Adamowitsch (2018): Blockadebuch. Leningrad 1941-1944. Berlin: Aufbau. S. 104.

Quellen:

Artikel “10 Top Museums and Galleries” in National Geographic:

https://www.nationalgeographic.com/travel/top-10/museum-galleries/#page=1

Offizielle Website der Eremitage: https://www.hermitagemuseum.org/wps/portal/hermitage/