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Porträts von Blockadeüberlebenden. Teil 2

Porträts von Blockadeüberlebenden. Teil 2

Die Gemeinnützige regionale Organisation der Waisenhauskinder des belagerten Leningrad existiert bereits seit vielen Jahrzehnten und ist eine sehr aktive Sankt Petersburger Organisation, die Bildungs- und Freizeitprogramme für die heute noch lebenden ehemaligen Waisenhauskinder des belagerten Leningrad veranstaltet. Die Blokadniki, die diese Organisation vereint, sind trotz ihres hohen Alters noch sehr aktiv und aufgeschlossen gegenüber neuen Kontakten.

Robert Putzbach hat im Laufe seines Freiwilligendienstes einige von ihnen interviewt und ihre Geschichten dokumentiert. Heute veröffentlichen wir das zweite seiner Porträts:

“Viktor wurde am 27.12.1928 in Leningrad geboren, er ist heute bereits 91 Jahre alt. Er erinnert sich noch gut an den Beginn des „Großen Vaterländischen Krieges“ (Deutsch-Sowjetischer Krieg) im Jahr 1941. Viktor sagt, alle hätten es damals mitbekommen, doch das Ganze erschien weit weg.

Doch die deutsche Wehrmacht und mit ihr die Front rückten schnell näher. Viktors Vater war Invalide, er wurde schon 1918 verletzt. Seine Mutter arbeitete als Buchhalterin. Sie verstarb im Jahr 1942. Einzelne Szenen aus dem Krieg sind ihm noch in Erinnerung geblieben: Bei einem Bombenangriff stand Viktor mit seinem Freund draußen und wartete, während die Erwachsenen bereits lange im Luftschutzkeller Schutz gesucht hatten. Den beiden Jugendlichen war in dieser Situation nicht bewusst, was um sie herum passiert.

Im August desselben Jahres wurde Viktor aus Leningrad evakuiert. Ein Bekannter der Familie war in der Waisenhausverwaltung tätig und konnte daher dafür sorgen, dass er auf eine Evakuierungsliste gesetzt wird. Viktor und sein Vater wurden nach der Überfahrt über den Ladogasee mit Viehwaggons 400 Kilometer weit gefahren, bis in die heutige Oblast Jaroslawl. Das alles geschah nachts, damit man aus der Luft von den feindlichen Bombern nicht gesichtet wurde. Viktor erzählt von der bekannten Evakuierungsroute, der sogenannten Straße des Lebens. „Damals war sie aber eher als Korridor des Todes bekannt“, merkt er an. Die Evakuierung bis ins Hinterland dauerte sehr lange. Mehr als zwei Wochen waren sie in Güterzügen unterwegs.

In der Oblast Jaroslawl war Viktor in einer Kolchose tätig und musste dort auch bei der Arbeit mithelfen. Sein Vater war, trotz der körperlichen Einschränkungen, ebenfalls in der Kolchose beschäftigt. Der Vorteil an der Situation war, dass die Kolchose die eigene Versorgung sicherstellte. Die erzeugten Produkte konnte man essen. Viktor sagt heute, nur deshalb kam er als Jugendlicher außerhalb von Leningrad irgendwie über die Runden.

Viktor erzählt schmunzelnd von Wegen, wie damals die staatliche Zensur umgangen werden konnte. Wenn die Menschen einen Brief an einen Verwandten schickten, wurde dann z.B. ein umgedrehter Kopf gemalt – um zu zeigen, dass man gerade mit Hunger zu kämpfen hatte. Viktor sagt, die schwere Zeit werde er nie vergessen, die Gedanken an Hunger, Not und Leid hätten ihn noch viele Jahre lang begleitet. Viktor sagt, „Damals gab es nur einen einzigen Gedanken – wie überlebe ich den nächsten Tag.“ Alles andere geriet in Vergessenheit.

Nach der Blockade war Viktor zunächst als Tischler tätig und reparierte Türen und dergleichen. In der zerstörten Stadt gab es einen großen Bedarf an Handwerkern – viele Männer waren an der Front gefallen oder verhungert. Anschließend machte Viktor eine Ausbildung zum Schiffsbautechniker und arbeitete bei der Flotte. Er war am Bau von U-Booten beteiligt, unter anderem beim ersten Atom-U-Boot aller Zeiten. Er sagt, er hätte immer an seine Träume geglaubt. Daher kämen bei ihm, wie bei vielen anderen seiner Generation, der starke Willen und das Durchhaltevermögen. Der Sport hat in Viktors Leben eine große Rolle gespielt, als junger Mann war er Mitglied in einer Rudermannschaft.

Heute hat Viktor einen Sohn und eine Tochter sowie drei Enkeltöchter und drei Enkelsöhne. Er ist stolz auf die große Familie, die gemeinsamen Treffen genieße er sehr. Viktors Sohn ist in seine Fußstapfen getreten und ist im Schiffsbau tätig. „Allerdings im zivilen“ ergänzt er schmunzelnd.”

Robert Putzbach, Teilnehmer des Freiwilligenprogramms für angehende Journalist/-innen