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Die “Polutorka” auf der “Straße des Lebens”

Die “Polutorka” auf der “Straße des Lebens”

Das Automobil GAZ-AA, entworfen von Ingenieuren des Fahrzeugwerks Gorki (die Stadt Gorki heißt heute Nischni Nowgorod), wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in großen Stückzahlen produziert. Im Volk ist es eher als “Polutorka”, zu Deutsch “Anderthalbtonner”, bekannt, denn sein Ladevermögen betrug 1500 Kilogramm.

Beliebt war der Wagen aufgrund seiner Einfachheit und Zuverlässigkeit. Automobile dieser Marke machten über die Hälfte des Fuhrparks der Roten Arbeiter- und Bauernarmee aus1.

Mit der Produktion des GAZ-AA begann man im Jahr 1932. Als Grundlage für das Modell diente ein Lastwagen des Autokonzerns Ford, nämlich das Modell AA. Es wurde gemeinsam mit Spezialisten des Konzerns erarbeitet. Dieser Lastwagen erfüllte alle Anforderungen: Er war einfach in seiner Ausführung, konnte genug Lasten transportieren und war anspruchslos. Schon einige Zeit später wurde das Modell vollständig an die sowjetische Realität angepasst. In der Folge wurde auf Basis dieses Autos der GAZ-MM produziert. Dies war dieselbe Variante der “Polutorka”, allerdings mit stärkerem Motor.

Dieses Modell war das meistgenutzte im Land. Bei Ausbruch des Großen Vaterländischen Krieges aber zeichnete sich ein Problem bei der Produktion ab: Es gab nicht genügend Bauteile. Die Ingenieure versuchten, den Produktionsprozess maximal zu vereinfachen: anstelle von Türen benutzte man oft Deckplatten aus Dacheisen, anstelle eines Dachs spannte man ein Sonnensegel und der Fahrersitz wurde aus Holz gefertigt. Zusätzlich wurde ein Modell entwickelt, das mit Brennholz betrieben werden konnte. Der Lieferwagen jener Zeit hatte keine besondere Ausstattung: Zum Transport von Menschen stellte man einfache Bänke hinein, Waren wurden übereinandergestapelt.

Eine besondere Rolle spielten die Anderthalbtonner während der Leningrader Blockade.

Am 8. September 1941 schloss sich der Belagerungsring um Leningrad. Es war wichtig, einen Weg (außer dem Luftweg) zu finden, über den man Lebensmittel und Treibstoff in die Stadt bringen konnte. Bis zu dem Moment, wo der Ladogasee zufror, fuhren die Schiffe eben auf diese Weise. Was aber sollte man im Winter tun? Es wurde beschlossen, eine Eisstraße zu organisieren, die in der Folge den Namen “Straße des Lebens” erhielt.

Die erste LKW-Kolonne (bestehend aus 60 Fahrzeugen) überquerte am 22. November 1941 das Eis des Ladogasees. Der Weg wurde nachts zurückgelegt, die Scheinwerfer der Autos waren ausgeschaltet.

Über den See fuhren auch andere Transportmittel. Die Anderthalbtonner aber hatten einen Vorteil, denn sie waren viel leichter. Dennoch fuhren sich die LKWs am Anfang, als die Trasse noch nicht ausgefahren war, häufig fest. Die Straße selbst bestand aus zwei Fahrspuren, auf denen sich die Kolonnen bewegten. Da das Eis schnell dünner wurde, wurde die Lage der Fahrspuren ständig geändert.

Im Herbst und Frühling wurden die Autos nicht voll beladen, um sie nicht zu schwer zu machen. Die Fahrer aber öffneten die Türen zu ihrer Kabine, sodass man das Auto schnell hätte verlassen können. Dennoch versanken die Anderthalbtonner zu jener Zeit oft unter dem Eis. In der Nacht bewegten sich die Fahrer ohne Scheinwerfer fort und orientierten sich ausschließlich an den Einweiserinnen. Unter diesen Bedingungen, wo die Sicht nur minimal war, konnten die Autos den Rissen im Eis oft nicht ausweichen. Im ersten Blockadewinter gingen etwa 1000 Autos verloren.

Den Fahrern war vorgeschrieben, einen bestimmten Abstand einzuhalten und in keinem Falle anzuhalten.

Die Straße des Lebens war bis zum Frühjahr 1943 in Betrieb. Im Sommer überquerten Schiffe den Ladogasee, im Winter Autos. Sie brachten Lebensmittel und andere notwendige Waren in die Stadt. Auf dem Rückweg evakuierten sie Menschen.

Die “Polutorka” wurde zu einem wahren Symbol für die Blockade. Heute kann man an Kilometer 10 der “Straße des Lebens” ein Denkmal für dieses Auto in Echtgröße sehen. Bis zum heutigen Tag wird die Bergung der Autos vom Grund des Ladogasees fortgesetzt. Eines dieser Fundstücke wurde im Dorf Kobona als Denkmal aufgestellt. Das Dorf liegt etwa 90 Kilometer von Sankt Petersburg entfernt. Es war der Endpunkt der Straße des Lebens. Heute befindet sich dort ein Museum.


1 Die Rote Arbeiter- und Bauernarmee war die offizielle Bezeichnung der Streitkräfte Russlands von 1918 bis 1943: https://www.prlib.ru/collections/709902.

Quellen:

https://histrf.ru/biblioteka/b/gaz-aa-polutorka-truzhienik-voiny-i-khoziaistva

https://www.kolesa.ru/article/polutorka-na-doroge-zhizni-tonkij-lyod-i-goryashhie-ruki-shofyora

https://sovietcars.net/car/gaz/aa/