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Die Petersburger Vorstädte während der Blockade, Teil 5. Schlüsselburg-Oreschek: die Geschichte einer mittelalterlichen Festungsstadt

Die Petersburger Vorstädte während der Blockade, Teil 5. Schlüsselburg-Oreschek: die Geschichte einer mittelalterlichen Festungsstadt

Auf der Orechowy-Insel (russ. “Nussinsel”), im Kirow-Bezirk, 55 Kilometer östlich von Sankt Petersburg, liegt die uneinnehmbare mittelalterliche Festung Oreschek. Der Moskauer Fürst Juri Dolgoruki legte sie im Jahr 1323 zum Schutz des Ladogasees sowie von Weliki Nowgorod und anderer Territorien an. Diese Festung war sehr bedeutsam für die Entwicklung des Handels mit Westeuropa. Aus eben diesem Grund waren auch die Schweden an ihr interessiert und zu Beginn des 17. Jahrhunderts, nach einer langdauernden Belagerung, ging sie in ihren Besitz über. Die Festung wurde in Nöteborg umbenannt.

Peter I. jedoch beabsichtigte, dieses Gebiet einstmals zurückzuerobern. Im Laufe des Großen Nordischen Krieges, im Oktober 1702, konnte er sein Vorhaben in die Tat umsetzen. Anschließend erhielt die Festung den Namen “Schlüsselburg”. Und wirklich: Wie ein Schlüssel eröffnete die Stadt den Weg zur Ostsee und zu wichtigen Handelsstraßen. Schon bald darauf entstand um die Festung herum eine Stadt, die ebenfalls Schlüsselburg genannt wurde. Ende des 18. Jahrhunderts, als Kronstadt zur wichtigsten Festung wird, verliert Schlüsselburg seine vormalige Bedeutung und wird zu einem politischen Gefängnis umfunktioniert.

Am 8. September 1941 blockierten die Truppen der deutschen Armee Leningrad auf dem Landweg, indem sie Schlüsselburg einnahmen. Dieser Tag gilt als der Tag des Beginns der Leningrader Blockade. Die Verteidigung der Festung dauerte fast 500 Tage. Ihre Garnison bestand aus Marineartillerie und Einheiten des Zweiten Schützenregiments der Ersten Division der Truppen des NKWD.1 Es war wichtig, eine Einnahme des Ladogasees zu verhindern, denn über diesen verlief die berühmte Straße des Lebens.

Am 18. Januar 1943 wurde die Blockade unter den vereinten Anstrengungen der Leningrader und der Wolchower Front durchbrochen. Unterstützung kam auch von der Baltischen Flotte, der Ladoga-Marineflottille und der Fernfliegerkräfte der UdSSR. Dem waren erbitterte Kämpfe bei Schlüsselburg vorausgegangen, die mehrere Tage dauerten. Die Operation zum Durchbruch der Blockade (Operation “Iskra” (russ. “Funke”)) fand vom 12. bis zum 30. Januar 1943 statt. Es gelang, einen Landkorridor zu schlagen, der Leningrad mit dem “Großen Land” verband. Dabei  musste sofort die Versorgung der Stadt mit zusätzlichen Lebensmitteln gewährleistet werden, denn die Möglichkeiten der Straße des Lebens waren sehr begrenzt.

Einige Tage nach dem Durchbruch der Blockade begann man mit dem Bau einer zeitweisen und geheimen Eisenbahnstrecke. Sie verlief entlang des linken Ufers der Newa und am südlichen Rand des Ladogasees. Der Bau wurde dadurch erschwert, dass die Schienen sich in direkter Nähe zu den feindlichen Artilleriestellungen befanden.

Etwa drei Wochen später war zwischen Schlüsselburg und der Siedlung Poljana eine Trasse von 33 Kilometern Länge entstanden. Sie ist als “Straße des Sieges” bekannt. In Anbetracht ihrer gefährlichen Lage aber hatte sie noch einen anderen Namen: “Korridor des Todes”.

Die Trasse wurde nicht nur von professionellen Eisenbahnern angelegt, sondern auch von der Lokalbevölkerung. Diese half zudem beim weiteren Betrieb der Strecke. Am 7. Februar 1943 kam der erste Zug in Leningrad an. Er brachte nicht nur Lebensmittel, sondern auch Hoffnung.

Das Datum der Ankunft des Zuges ist auf einer Gedenktafel zu Ehren der Eisenbahnarbeiter vermerkt, die in Schlüsselburg installiert wurde.

Auf dem Gelände der Festung Oreschek befindet sich die Kathedrale der Geburt von Johannes dem Täufer. Zur Zeit der Blockade wurde auf deren Kuppel jeden Tag eine rote Fahne gehisst – als Symbol der Unbesiegbarkeit und der Standhaftigkeit der Seele. Das Gebäude der Kathedrale wurde während der Krieges stark in Mitleidenschaft gezogen. Am 9. Mai 1985 wurde in den Ruinen der Kirche ein Gedenkkomplex zu Ehren der Verteidiger der Festung eingerichtet. Zu ihm gehören eine Skulpturengruppe, ein Obelisk mit Abbildungen von Soldaten, Fragmente des Kriegsalltags und eine Tafel, in die der Eid der Festungsverteidiger eingraviert ist:

“Wir sind Soldaten der Festung Oreschek. Wir schwören, sie bis zuletzt zu verteidigen. Unter keinen Umständen werden wir sie verlassen. Von der Insel entlassen werden: auf Zeit – Kranke und Verwundete; für immer – Gefallene. Hier werden wir bis zum Ende stehen.”

Heute lockt die Stadt Schüsselburg, obwohl sie eher klein ist, Touristen aus allen Ecken Russlands und der Welt an. Die Festung Oreschek, in der heute ein Museum eingerichtet ist, feiert im Jahr 2023 ihr 700-jähriges Jubiläum.  


1 NKWD (= Narodny kommissariat wnutrennich del), Volkskommissariat für innere Angelegenheiten der UdSSR. Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Innenministerium_der_UdSSR.

Quellen:

Geschichte der Festung Oreschek: https://petrokrepost.ru/o-kreposti/

Informationen zum Gedenkkomplex auf dem Gelände der Festung Oreschek: https://peterburg.center/maps/krepost-oreshek-memorialnyy-kompleks-posvyashchennyy-oborone-kreposti-v-1941-1943-gg.html

Artikel zur “Straße des Sieges”: https://leningradpobeda.ru/blog/kak-doroga-pobedy-spasla-leningradcev

“Spaziergang durch Schlüsselburg” auf der Website “Virtuelles Russisches Museum”: https://rusmuseumvrm.ru/data/city_walks/shlisselburg/progulki_po_shlisselburgu/index.php