Uliza Bolschaja Konjuschennaja 11
191186 Sankt Petersburg,
Russland
ekultur@drb-ja.com
+7 812 570 40 96

Zum 78. Jahrestag der Befreiung Leningrads

Zum 78. Jahrestag der Befreiung Leningrads

Der Januar hat für Sankt Petersburg eine besondere Bedeutung, denn in diesem Monat werden gleich zwei wichtige Gedenktage begangen, die mit der Leningrader Blockade verbunden sind: der 18. Januar (der Tag des Durchbruchs der Blockade) und der 27. Januar (der Tag der vollständigen Befreiung Leningrads). Im heutigen Artikel werfen wir einen Blick auf die Geschichte dieser beiden Daten, die leider nur allzu häufig verwechselt werden.

Schon kurz nachdem sich im September 1941 der deutsche Belagerungsring geschlossen hatte, unternahm die Rote Armee erste Versuche, einen Korridor nach Leningrad zu erkämpfen, denn die zweitgrößte Stadt der Sowjetunion wurde in ihrer Funktion als Industriestandort und Ostseehafen gebraucht. Alle diese Operationen waren jedoch erfolglos und zudem äußerst verlustreich für die sowjetische Armee. Das dramatischste Beispiel hierfür ist wohl der sog. Newski-Pjatatschok: ein knapp 1,5 km2 kleiner Brückenkopf am linken Newa-Ufer, an dem über 120 000 Soldaten der Roten Armee bei dem Versuch, den Blockadering zu durchbrechen, ums Leben kamen oder verwundet wurden. An diesem Ort des Schreckens bemaß sich ein Soldatenleben in Minuten und Stunden.

Erst Ende 1942 wendete sich das Blatt zugunsten Leningrads: Im November 1942 wurde die 6. Armee der Wehrmacht vor Stalingrad von der Roten Armee eingekesselt. Nach dieser erfolgreiche Wende konnte das Vorhaben zur Befreiung Leningrads erneut begonnen werden. Im Rahmen der Operation „Iskra“ (dt. „Funke“) gingen die Soldaten der Leningrader sowie der Wolchow-Front ab dem 12. Januar 1943 gleichzeitig zum Angriff über. Ziel war es, die Blockade am südlichen Ufer des Ladogasees zu durchbrechen und auf diese Weise die beiden einander gegenüberstehenden sowjetischen Fronten zu vereinen. Sie benötigten fast sieben Tage, um den an dieser Stelle nur knapp 14 km breiten Belagerungsring zu überwinden. Schließlich gelang das Vorhaben: Am Morgen des 18. Januar 1943 trafen die Kämpfer beider Fronten bei den heute nicht mehr bewohnten Arbeitersiedlungen Nr. 1 und Nr. 5 südwestlich des Ladogasees zusammen.

Auch wenn Leningrad damit noch nicht befreit war, war der Erfolg der Operation unleugbar. Innerhalb von nicht einmal drei Wochen wurde eine Eisenbahnstrecke durch den freigekämpften Korridor verlegt – die sogenannte „Straße des Sieges“. Diese verbesserte die Versorgung der Stadt mit Lebensmitteln sowie Rohstoffen und löste in der Folgezeit die „Straße des Lebens“ über den Ladogasee ab. Damit stieg auch die Hoffnung auf ein baldiges Ende der Blockade und – der Name der neuen Eisenbahnstrecke verriet es – den bevorstehenden Sieg über Nazideutschland. Die Russlanddeutsche Lidija Franzewna Stein, die damals in einem Dorf in der Nähe von Schlüsselburg lebte, erinnert sich folgendermaßen an den Durchbruch der Blockade:

Der wichtigste Tag für alle, die sich im Belagerungsring befanden, war der 18. Januar 1943, der Tag des Durchbruchs der Blockade. Wir bekamen wieder Hoffnung auf das Leben. Für den Durchbruch der Blockade wurden neue Kräfte nachgeschoben: Sibirier, lustige satte Menschen in neuen weißen Halbpelzmänteln, in neuen Tarnmänteln. Wir wohnten so nah an der Frontlinie, dass wir immer auf dem Laufenden darüber waren, was passierte. Einmal kam ein Soldat zu uns, der für uns ein paar Stücke Soldaten-Zwieback auf dem Tisch liegen ließ. Für uns war es wie ein leckeres Stück Torte. Meine Mutter weinte und er tröstete sie und sagte: ‚Na Mütterchen, wir werden noch Kaffee in Berlin trinken!’ So einen starken Geist hatten diese Menschen.

Erinnerungen von Lidija Franzewna Stein

Bis zur vollständigen Befreiung Leningrads dauerte es indes noch ein weiteres Jahr, denn der deutsche Verteidigungsring um die Stadt war stark befestigt. Anfang 1944 jedoch war es soweit: Nach wochenlangen geheimen Vorbereitungen begann die 2. Stoßarmee der Leningrader Front, die zuvor heimlich verstärkt worden war, ihren Ausbruch aus dem Brückenkopf von Oranienbaum. In den folgenden Tagen traten weitere Truppen der Leningrader sowie der Wolchow-Front auf den Plan und lieferten sich mit den Deutschen schon bald verbissene Kämpfe um die Leningrader Vorstädte.

Am 27. Januar 1944 wurde per Radio ein Befehl an die Armeen der Leningrader Front übertragen, in dem die vollständige Befreiung Leningrads verkündet wurde. Noch am selben Abend wurde in der Stadt ein feierlicher Salut veranstaltet: Es war der erste und einzige Salut 1. Grades (24 Salven aus 324 Geschützen), der nicht in der Hauptstadt Moskau abgegeben wurde. Zehntausende Leningrader feierten ihre Befreiung auf den Straßen und Plätzen der Stadt. Als fünfjähriges Mädchen erlebte Tatjana Arkadjewna Moissejenko diesen besonderen Tag:

Im Januar 1944, als die Flakgeschütze begannen, ohne Unterlass zu feuern, sagten alle: ‚Das sind unsere Geschütze.’ So hat sich mir der Beginn der Aufhebung der Blockade eingeprägt. Als der Salut begann, strömten alle auf die Straße. Bei unserem Haus stand ein Onkel, mager, klein, mit einer Mütze mit hervorstehenden Ohren. Er hatte keine Kraft, konnte kaum stehen. Wahrscheinlich dachte er, dass er laut ruft, in Wirklichkeit aber flüsterte er nur: ‚Hurra! Ruhm unseren Kämpfern! Ruhm unseren Matrosen!’

Erinnerungen von Tatjana Arkadjewna Moissejenko

Seit 1995 ist der 27. Januar in Russland offiziell ein „Tag des militärisches Ruhmes“. Alljährlich finden zu diesem Anlass in Sankt Petersburg verschiedene Veranstaltungen statt, darunter Trauerzeremonien und Kranzniederlegungen, aber auch ein farbenprächtiges Feuerwerk. Einen Einblick in das vielfältige Programm haben wir letztes Jahr in unserem Blog geliefert.


Quellen:

Karpenko, I., Tretiakova, M. (2020): Die Leningrader Blockade 1941-1944. Sankt Petersburg: Nestor-Istorija.

Artikel: „Die Geschichte des Tag der vollständigen Befreiung Leningrads von der faschistischen Blockade“. TASS, 27.01.2019.

Artikel: „Der Tag der vollständigen Befreiung Leningrads von der faschistischen Blockade (1944)“. RIA Nowosti, 27.01.2015.

Artikel: „Der ‚Januardonner’, der nach dem ‚Funken’ erklang. Wir erinnern uns an die Operation zur vollständigen Befreiung Leningrads von der Blockade“. Fernsehkanal Sankt Petersburg, 14.01.2019.