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Wie Deutschland und Russland gemeinsam den Soldaten der Blockade gedenken

Wie Deutschland und Russland gemeinsam den Soldaten der Blockade gedenken.

Im Rahmen des Zeitzeugenprogramms beschäftigen sich die Teilnehmenden des journalistischen Freiwilligendienstes mit der Geschichte der Leningrader Blockade. Dabei besuchen sie die Veranstaltungen zum Thema Blockade, die im Rahmen der “Humanitären Geste” organisiert werden, und leisten einen großen Beitrag zur medialen Aufbereitung der Programme.

Dieser Text wurde von Thomas Oswald ehrenamtlich geschrieben.

“„Heute, zum Volkstrauertag der Bundesrepublik Deutschland werde ich euch eine Geschichte von einer meiner Pilgerfahrten zu deutschen Gedenkstätten erzählen“, beginnt Vater Wjatscheslaw Charinow, Erzpriester der russisch-orthodoxen Kirche, nach seinen Gebeten an der Grabstätte der Sinjawinohöhen, wo mehr als 80.000 russische Soldaten unter der Erde ihre letzte Ruhe fanden.
Wjatscheslaw ist leidenschaftlicher Motorradfahrer und lernte auf seinen Pilgerfahrten einen Mann kennen, dessen deutsche Mutter von einem jungen Soldaten zu Beginn des Zweiten Weltkrieges schwanger geworden war. Er fiel während des Großen Vaterländischen Krieges gegen die Sowjetunion. Die Frau, die später einen SS-Soldaten heiratete, erntete von ihrer Familie als Alleinerziehende Missgunst und Hass. „Lediglich ein sowjetischer Kriegsgefangener, der einige Zeit bei der Familie lebte, hielt damals die Hand meiner Mutter“, sagte der Mann dem Erzpriester Charinow am Ende der Pilgerfahrt. An diesen Kriegsgefangen, an seinen Geruch, an seine Geschichten und an die Momente, während er den Jungen im Arm hielt, könne er sich noch am meisten erinnern.
Diese wahre Geschichte bringt Menschlichkeit zum Ausdruck. Auch wenn die Ereignisse der Vergangenheit Deutschland und Russland während des Zweiten Weltkrieges teilte, ist das Lernen aus den damaligen Fehlern das, was uns heute zusammenschweißt. Momente, in denen Menschen beider Länder gemeinsam an deutschen und sowjetischen Kriegsgräbern stehen und innehalten. Am 17.11.2019 jährt sich dieser Volkstrauertag, der ursprünglich zum Gedenken der Opfer des Ersten Weltkrieges eingeführt wurde, zum 97. Mal.
Nach Worten der deutschen Generalkonsulin Dr. Eltje Aderhold, russisch-orthodoxen Gebeten von Vater Charinow und katholischen Psalmen des evangelischen Pastors Michael Schwarzkopf legen rund einhundert Menschen aus Sankt Petersburg und der Leningrader Oblast rote Nelken um die Blumenkränze des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in Sankt Petersburg und dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. nieder. Nelken, die vor den meisten Gräbern in Russland die Andacht an die Verstorbenen symbolisieren. Heute, zum Volkstrauertag der Bundesrepublik Deutschland werden sie auf einen Boden gelegt, der 1941 ein bedeutender Ort der Leningrader Blockade war. An Massengräbern in den Sinjawinohöhen in der Nähe der von der Wehrmacht zuerst besetzten Stadt Schlüsselburg. Ein Ort, wo die deutsche Wehrmacht die Evakuierung der Leningrader Bevölkerung verhindern wollte. Und ein Ort, wo 1944 eine entscheidende Schlacht der sowjetischen Armee für die Zerschlagung der Blockade gewonnen wurde. Durch den hohen Eisen- und Kalkgehalt des Bodens aufgrund von Überresten dieser Schlacht wächst heute dort nicht mehr als ein paar borstige Büsche und Mohn.

Um Frieden dauerhaft zu sichern, darf Krieg nicht in Vergessenheit geraten.

Rund 30 Kilometer südlich, am deutschen Soldatenfriedhof in Sologubowka gedenkt Generalkonsulin Dr. Eltje Aderhold den circa 55.000 meist in sehr jungem Alter gefallenen Soldaten der Wehrmacht: „Während die Taten des Zweiten Weltkrieg mehr als 55 Millionen Opfer brachten, davon rund 27 Millionen sowjetische Bürger und 6 Millionen Juden, flüchten heute mehr als 70 Millionen Menschen vor Krieg.“ Um Frieden dauerhaft zu sichern, darf Krieg nicht in Vergessenheit geraten. Eine Botschaft, die beim Vortragen des Psalms 85 von Pastor Michael Schwarzkopf in die Köpfe und Herzen der anwesenden deutschen und russischen Bürgern einbrennen sollte, wie auch beim Vaterunser des Christentums, das im Anschluss die Andacht des Pastors abrundete. Mit Blick auf das für alle Besucher/-innen präsente schwarze Kreuz fragt Schwarzkopf die Anwesenden, wie Frieden möglich sei. Dabei verwendet er in der russischen Übersetzung mehrfach das Wort „мир“. Auf Deutsch bedeutet es „Frieden“, aber auch „Welt“. Den Frieden der deutschen und russischen Leningrader Gemeinschaft spürte ich an diesem Tag nicht nur bei den harmonischen Gesprächen im Anschluss der Veranstaltung mit Suppe und Tee, sondern auch als mir eine russische Frau heute eine ihrer beiden roten Nelken gab, obwohl man traditionell nur Blumen mit gerader Anzahl an die Gräber der Verstorbenen niederlegt. Спасибо.”