Online-Modul mit Studierenden der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Das Studium in Zeiten der Corona-Pandemie bringt zweifellos viele Herausforderungen und Einschränkungen mit sich. Gleichzeitig bietet die Verlagerung in den Online-Bereich aber auch viele neue Chancen, den “normalen” Seminarablauf zu erweitern: zum Beispiel um ein Online-Modul, in dem deutsche Studierende, die sich in ihrem Seminar bereits mit deutschen Erinnerungen an die Leningrader Blockade auseinandergesetzt haben, auch die russische Perspektive kennenlernen durften. Möglich gemacht wurde dieser Austausch von Dr. Hans-Christian Petersen, Historiker und Privatdozent an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, dem Projektteam der “Humanitären Geste” sowie den beiden Simultandolmetscherinnen Lilia Schakirowa und Galina Lipis.
Das Modul begann mit einer Präsentation der Petersburger Historikerin Milena Nikolajewna Tretjakowa. Sie ging dabei unter anderem auf die symbolhaften 900 Tage der Belagerung, die Bedeutung der Stadt Leningrad innerhalb der Sowjetunion und die Schwierigkeiten einer genauen Bestimmung der Opferzahlen der Blockade ein. Zudem berichtete Frau Tretjakowa über die bekanntesten Erinnerungsorte der Blockade: das Museum der Verteidigung und Belagerung Leningrads, das Museum der Geschichte der Stadt Sankt Petersburg, den Grünen Gürtel des Ruhms und den Piskarjowskoje-Gedenkfriedhof. Von besonderem Interesse für Studierende der Geschichtswissenschaften dürften auch die vielfältigen Literaturempfehlungen und Hinweise auf elektronische Ressourcen gewesen sein, die Frau Tretjakowa in ihre Präsentation miteinband.
Im zweiten Teil des Moduls wurde der Austausch noch sehr viel anschaulicher und lebendiger, denn nun schalteten sich zwei Überlebende der Blockade, Valentina Anatoljewna Korobowa und Stanislaw Witaljewitsch Mikoni, dazu. Sie berichteten über ihre Erinnerungen an die Zeit der Blockade, aber auch über die Formen, in denen sie das Erlebte später verarbeiteten und für die Nachwelt aufzubewahren suchten: Frau Korobowa mithilfe von Büchern, die sie und die Mitglieder des Klubs “Raduschije” für deutschstämmige Blockadeüberlebende, Opfer politischer Repressalien und Kinder des Krieges herausgegeben haben, Herr Mikoni durch Gedichte, die er seit seiner Jugend schreibt. Natürlich hatten die Studierenden auch die Möglichkeit, Fragen an Frau Korobowa und Herrn Mikoni zu stellen. Besonders interessierte sie dabei das Thema Evakuierung aus der belagerten Stadt sowie der Aspekt der Organisation der Evakuierungskontingente. Am Ende des Gesprächs wurde deutlich, dass die vorgesehene Zeit von zwei Stunden bei weitem nicht ausreichte, um alle Fragen zu beantworten. Wie sich im anschließenden Feedback zeigte, hat der Austausch mit den Blokadniki und Frau Tretjakowa das Wissen der Studierenden dennoch in vielen Punkten erweitert:
“Die Zeitzeugenberichte haben dazu beigetragen, einen Eindruck vom individuellen Schicksal der Betroffenen zu erhalten. Das bisher gewonnene Wissen wurde dadurch vertieft und emotionaler gestaltet. Zudem habe ich gelernt, dass die Evakuierung der Leningrader zwangsweise erfolgte und nicht ‚auf Wunsch‘.”
“Besonders bei dem sowjetischen und russischen Gedenken an die Blockade gab es viele neue Informationen und es ist natürlich nochmal etwas ganz anderes, all die Informationen, die wir im Seminar theoretisch behandelt haben, von den Blokadniki persönlich zu hören. Man kann es sich gar nicht vorstellen, was sie berichten, aber so wird alles nochmal viel eindrücklicher.”
“Insbesondere das Gespräch mit den beiden Zeitzeugen hat mein Wissen sehr erweitert und mich auch zudem sehr bewegt.”
Wir hoffen, dass wir diese lebendige Form des deutsch-russischen Austauschs auch bald wieder vor Ort in Sankt Petersburg fortsetzen dürfen!