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Erfahrungsberichte zum journalistischen Freiwilligenprogramm. Teil 2

Erfahrungsberichte zum journalistischen Freiwilligenprogramm. Teil 2.

Einen wichtigen Teilbereich des Projekts “Humanitäre Geste” bilden Freiwilligenprogramme für junge Menschen aus Deutschland. Die Freiwilligen verbringen bis zu drei Monate in Sankt Petersburg, wo sie zunächst Vorbereitungskurse und -seminare durchlaufen und anschließend mit Überlebenden der Leningrader Blockade arbeiten. Eines der Freiwilligenprogramme richtet sich speziell an Studierende und Berufseinsteiger/-innen im Journalismus- und Medienbereich – also kurz gesagt, an angehende Journalist/-innen.
Die Teilnehmenden dieses Programms begleiten und dokumentieren die öffentlichen Veranstaltungen und Programme für Gruppen, die im Rahmen der “Humanitären Geste” stattfinden, besuchen gemeinsam mit diesen Gruppen Museen und Gedenkstätten der Leningrader Blockade und führen Interviews mit Blockadeüberlebenden.
Einer der ersten Freiwilligen, die im Herbst und Winter 2019 an der Pilotphase des Programms teilgenommen haben, war Martin Schmitz, der nach seiner Rückkehr nach Deutschland den folgenden Erfahrungsbericht über seinen Freiwilligendienst verfasst hat:

“Im August 2019 beendete ich mein Studium und reiste in die Ukraine sowie die Länder des Kaukasus. Dort bekam ich unweigerlich die Geschichte der Sowjetunion hautnah zu spüren und meine Faszination für die Kultur und Sprache der Region war entfacht. Sofort erkundigte ich mich nach Möglichkeiten, in Russland ein Praktikum oder einen Freiwilligendienst zu absolvieren. Leider musste ich feststellen, dass alle Stellen (verständlicherweise) russische Sprachkenntnisse erwarteten, welche ich nicht besaß. In dieser Zeit erhielt ich völlig unerwartet die Stellenausschreibung für das Zeitzeugenprojekt der „Humanitären Geste“ durch einen E-Mail-Verteiler meiner Universität und bewarb mich postwendend. Das Thema „Zweiter Weltkrieg“ begleitete mich seit jeher durch mein privates Leben (intensive Gespräche mit meinen Großeltern, die den Krieg in Deutschland erlebten), meine Schule und Universität. Über die Leningrader Blockade wusste ich nicht viel. Diese Wissenslücke schließen zu können und gleichzeitig die russische Kultur für drei Monate kennenzulernen – eine besser auf mich zugeschnittene Stelle hätte es nicht geben können. Die Antwort des drb kam schnell und nach Skype-Interviews mit den Projektleitern vor Ort sowie der deutschen Partnerorganisation – dem JugendSozialwerk Nordhausen e.V. – bekam ich kaum zwei Wochen später die Zusage, am Programm teilnehmen zu können.

Nach den relativ unkompliziert verlaufenden Vorbereitungen und der Visumbeschaffung saß ich Ende Oktober 2019 – etwas über einen Monat nach der Bewerbung – bereits im Flieger nach St. Petersburg. Was ich dort erleben durfte, übertraf definitiv meine Erwartungen. Ich lebte zusammen mit einer langjährigen Freundin aus Deutschland, die sich auf meine Empfehlung auch auf das Programm beworben hatte, und drei weiteren journalistischen Freiwilligen in einer 5-er WG. Das Zusammenleben klappte auf Anhieb sehr gut und es begannen intensive Wochen, in denen wir die verschiedenen Kulturveranstaltungen des drb besuchten: Seminare, Gedenktage, Ausflüge, Zeitzeugentreffen, Koch- und Tanzkurse. Das Programm war so abwechslungsreich, dass ich vermutlich ein Buch schreiben müsste, um es auf Papier zu fassen. Fakt ist jedoch, dass nie Langeweile aufkam. Mehrmals pro Monat reisten Gruppen aus Deutschland an – bestehend aus Studierenden, Verbandsvertretern, Jugendlichen oder Journalisten – und nahmen an etwa 5-tägigen Bildungsprogrammen über die Leningrader Blockade teil. Als Freiwillige des drb waren wir bei den meisten dieser Programmpunkte dabei und bekamen so einen besonders tiefen Einblick in die Thematik. Ein Wochenende verbrachten wir in Repino an der Ostsee, um dort in einem mehrtägigen Seminar darüber zu diskutieren und zu lernen, wie man über Tragödien schreibt.

Zu den Highlights gehörten für mich die Zeitzeugentreffen mit Blockadeüberlebenden und der Austausch mit Projektteilnehmern – Russen und Deutsche mit den verschiedensten Hinter- und Beweggründen. Darüber hinaus rannte ich mit meiner Neugier, die russische Kultur kennenlernen zu wollen, offene Türen ein, und machte von Anfang an Bekanntschaft mit jungen, aufgeweckten Petersburgern, die mir durch die Zeit in Russland hindurch eine besonders interessante Perspektive auf Land und Leute ermöglichten.

Zu meinen Haupttätigkeiten als Freiwilliger gehörte die aktive Teilnahme an den hauseigenen Veranstaltungen und das Erledigen von Vor- und Nachbereitungsarbeiten. Darüber hinaus sollten wir unsere Erlebnisse dokumentieren. Wir schrieben Artikel für den projekteigenen Blog und die sozialen Medien. Ich beteiligte mich überwiegend am Fotografieren der Projektaktivitäten.

Aus meinen vergangenen Freiwilligendiensten wusste ich jedoch bereits, dass diese häufig viel Eigeninitiative fordern. Aus dem Grund habe ich gemeinsam mit meiner Schulfreundin Lale überlegt, ein Videoprojekt durchzuführen. An dieser Stelle möchte ich das drb loben, das nicht nur offen für selbstentwickelte Projekte ist, sondern uns nach der Vorstellung des Konzeptes sofort Unterstützung zusagte. Innerhalb von zwei Wochen steckten wir schon mitten in den Dreharbeiten. All dies wäre nicht möglich gewesen ohne die engagierte Hilfe der drb-Mitarbeiter, die uns massiv bei Produktion, Technikverleih, Organisation, Übersetzung und Casting der Protagonisten unterstützten.

Die Erfahrung, beinahe im Alleingang den 20-minütigen Kurzfilm „Блокадники – Blokadniki“ zu erstellen – von Konzeptionierung über Dreh bis Schnitt – wird nicht nur die Erinnerung an die Zeit in Russland langfristig prägen. Nach vielen arbeitsreichen Tagen und schlaflosen Nächten, Höhen und Tiefen während der Umsetzung, aber vor allem vielen tollen Begegnungen, Drehtagen, Problemüberwindungen und Lernerfahrungen konnten wir den Film am 27. Januar 2020 anlässlich des 76. Jahrestags der vollständigen Aufhebung der Blockade im drb vorstellen.

In dem Kurzfilmprojekt „Блокадники – Blokadniki“ werden drei Überlebende der Blockade audiovisuell porträtiert und ihre Erlebnisse als Mahnmal der Geschichte festgehalten. Die Zuschauer sollen verstehen, welchen persönlichen Herausforderungen diese Protagonisten begegnet sind und wie sie diese überwanden. Der Fokus liegt dabei nicht nur auf den bewegenden Schicksalen, sondern vor allem auf der wiedererstarkenden Kraft und dem neugewonnenen Lebensmut der Überlebenden. Das Ergebnis der Arbeit ist der gleichnamige Kurzfilm sowie drei 6-minütige Porträts über die jeweiligen Blokadniki. Sowohl der Film als auch die Porträts sind zweisprachig und können zukünftig auf Veranstaltungen oder Ausstellungen aufgeführt werden.

Trotz aller Schwierigkeiten und Herausforderungen bei der Umsetzung des ersten Films waren wir mit dem Ergebnis am Ende doch auch zufrieden und stolz auf unsere Leistung. Nach der Premiere blieben die Gäste – darunter viele Blockadeüberlebende sowie Deutsche und Russen allen Alters – zu Tee und Kuchen. Während dieses gemütlichen Beisammenseins kamen viele Überlebende auf mich zu, bedankten sich für die Arbeit und zeigten sich begeistert vom Film. Besonders freute mich, dass auch die Protagonisten zufrieden mit ihrem Filmauftritt waren. Ich kam vor lauter Händeschütteln kaum zum Essen und Trinken. Diese besondere Form der Wertschätzung von Menschen, denen ich vorher noch nie begegnet war, war für mich sehr berührend und hat meinem letzten Abend in St. Petersburg zu etwas ganz Besonderem gemacht.

Nach einer kurzen Nacht befand ich mich wenige Stunden später schon wieder auf dem Weg nach Deutschland. Die Ereignisse des Vorabends ließen und lassen mich seitdem nicht mehr los. Die drei Monate in St. Petersburg waren für mich eine Bereicherung, die mich auf lange Zeit begleiten wird – die Faszination für die kulturelle Arbeit des drb, den interkulturellen Austausch, die russische Kultur sowie die Verflechtung der deutschen und russischen Geschichte, die vielen neuen Bekanntschaften und vielleicht Freunde. Es fühlt sich an wie ein Kapitel, das ich gerade erst aufgeschlagen habe.

Ein besonderer Dank geht an das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland, den JugendSozialwerk Nordhausen e.V. und natürlich das Deutsch-Russische Begegnungszentrum St. Petersburg, die das Erinnerungsprogramm „Humanitäre Geste“ realisieren und umsetzen und ohne die der Freiwilligendienst in dieser Form nicht möglich gewesen wäre.”

Martin Schmitz, Teilnehmer des Freiwilligenprogramms für angehende Journalist/-innen

Momentan arbeitet Martin noch gemeinsam mit seiner Kollegin Lale an den endgültigen Fassungen des Kurzfilms “Блокадники – Blokadniki” sowie der 6-minütigen Kurzporträts. Schaut doch in der Zwischenzeit mal auf unserem Youtube-Kanal vorbei und seht euch den Film an, den wir vor gut einem Jahr zum 75. Jahrestag der Aufhebung der Leningrader Blockade gedreht haben, nachdem die Initiative “Humanitäre Geste” von den Außenministern Deutschlands und Russlands ins Leben gerufen worden war.