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Freiwilligenprogramm 2020: Wir gehen in die Zielgerade!

Freiwilligenprogramm 2020: Wir gehen in die Zielgerade!

Das Jahr 2020 hat uns eine Vielzahl von Überraschungen bereitet. Gewissermaßen hat es die ganze Welt auf ihre Stabilität überprüft und uns vieles beigebracht. Mich – als Koordinatorin des Freiwilligenprogramms – hat 2020 gelehrt, dass nichts unmöglich ist. Viele Ideen im Bereich der internationalen Jugendprogramme kann man selbst dann erfolgreich umsetzen, wenn sich die Teilnehmenden an ganz verschiedenen Ecken von Deutschland und Petersburg befinden. Um das zu beweisen, werde ich versuchen, das Unfassliche zu erfassen: Ich berichte darüber, was im Freiwilligenprogramm in den zwei Monaten seit seinem Start passiert ist.


Wir halten uns an den Händen, auch wenn zwischen uns Tausende Kilometer liegen.

Wir halten uns an den Händen, auch wenn zwischen uns Tausende Kilometer liegen.

Was verstehen wir unter einem Freiwilligenprogramm im Online-Format? Das sind natürlich nicht nur die Orientierungstreffen in Berlin und Sankt Petersburg, über die wir schon berichtet haben. Unser Hauptprogramm besteht aus Treffen über Zoom, die dienstags und donnerstags stattfinden. Darunter:

Neun zweistündige Treffen, die der Geschichte der Leningrader Blockade gewidmet waren.

Die Blockade im Detail: vom 8. September 1941 bis zum 27. Januar 1944. Wir haben eine Spezialistin eingeladen, die den Teilnehmer/-innen über die Ereignisse jener Zeit berichtet, Fotografien zeigt und Aufgaben für eigene kleine Recherchen gibt. Auf Russisch mit Simultanübersetzung ins Deutsche. 

“Die Geschichtsstunde heute war sehr gut, faktisch fundiert und bemüht objektiv. Der Sachverhalt war klar dargestellt, nachvollziehbar und in sich schlüssig.”*

“Heute fand ich die VL zur Leningrader Blockade erneut sehr spannend. Ich habe ein vertiefendes Verständnis für visuelles Material aus der Zeit gewonnen und gelernt, wie man es kritisch einordnet.”

“Dass es einen Übersetzer bei der russischen Geschichte gibt, ist sehr hilfreich und wirkt sehr professionell.”

Vier Themenabende mit Blockadeüberlebenden und Gespräche in Kleingruppen.

Wir luden Zeitzeugen zu unseren Online-Treffen ein, nicht nur, um noch tiefer in die Geschichte einzutauchen, sondern um am eigenen Leib zu erfahren, was generationenübergreifender Dialog bedeutet. Auch wenn das Online-Format für die 86- bis 99-Jährigen nicht immer leicht ist, so ist es auf jeden Fall sicher für alle.

“Die Gespräche mit den Zeitzeugen sind sehr interessant; man lernt diese auch als Menschen und nicht nur als blokadniki kennen. Dies gibt – unter Berücksichtigung der historischen Fakten – dem historischen Ereignis eine gewisse Tiefenschärfe.”

“Es ist sehr ergreifend, dem Geschehen in solch einer Anschaulichkeit gegenüberzutreten, da sich normalerweise der Diskurs hauptsächlich auf theoretischer Ebene bewegt und man keinen persönlichen Bezug zu der Sache hat. Nun haben sich die theoretischen Diskurse mit einer realen Person bei mir verknüpft, dies wirft für mich ein anderes Licht auf die Sache …”

Jedes Treffen mit den Überlebenden der Blockade hatte ein Thema. Beim Treffen zum Thema “Vergangenheit und Gegenwart” philosophierten wir über die Kernpunkte des Alltags, tauchten beim Treffen “Die Geschichte meiner Familie” in die Vergangenheit ein und beim “Abend der Künste” sangen wir gemeinsam und lasen Gedichte.

Fünf zweistündige Unterrichtseinheiten zur interkulturellen Kommunikation:

Schluss mit Vorurteilen und Stereotypen! Kreative Aufgaben, offene Fragen und das Fehlen von Tabuthemen – nur so kann man Gleichaltrige aus einem anderen Land besser verstehen.

“Die Sitzung zur interkulturellen Kommunikation war für mich sehr interessant, da ich, obwohl ich schon öfters im Ausland war, nie explizit danach gefragt hatte, wie mich die Menschen dort eigentlich genau wahrnehmen. Gleichzeitig war auch die Eisberg-Übung in den beiden Gruppen sehr hilfreich für mich, da man so gezwungen war, darüber nachzudenken, welche Eigenschaften man Russen und Russinnen sehr schnell zuschreibt.”

“Eine unschätzbare Erfahrung und ein hervorragendes Format! Wie ich schon geschrieben habe, hat sich mir die Unterrichtseinheit zu Tabus besonders eingeprägt und jetzt auch die gestrige Stunde zu Lakunen/kulturell bedingten Assoziationen und Schimpfwörtern, außerdem eine der ersten Unterrichtsstunden über Stereotype. Am wichtigsten und einzigartigsten war für mich der interkulturelle Austausch im Kurs, der praktisch wie live erfolgte.”

Zwei Treffen mit deutschen und russischen Spezialist/-innen für die Geschichte der Leningrader Blockade.

Weshalb sollte in Petersburg ein neues Museum zur Geschichte der Blockade gebaut werden? Wie sah der Entwurf aus und warum wurde das Projekt “auf Eis gelegt”? Warum spricht man in Russland so oft über die Blockade und in Deutschland fast gar nicht? Diese und andere aktuelle Fragen stellten die Teilnehmenden den geladenen Referent/-innen, argumentierten gemeinsam mit diesen und bekamen eine andere Sichtweise auf das Thema “Gedenken”.

Eine Einheit zur Einführung in die Arbeit mit Senior/-innen und neue Erfahrungen bei der Wahrnehmung von Erinnerungen durch einen Theaterworkshop.

Wir wollten sorgfältig an die Treffen mit den Blockadeüberlebenden herangehen und uns im Voraus darauf vorbereiten: überlegen, wie ältere Menschen leben, wie man einen konstruktiven Dialog mit ihnen führt, ob man “Wörter auswählen” muss oder ob es Tabus gibt.

Über unseren Theaterworkshop könnt ihr Näheres in unserem Instagram-Post erfahren (und sogar die Aufzeichnungen einiger Auftritte ansehen).

Eine Online-Exkursion durch Sankt Petersburg.

Regen (in etwa wie aus einer Sprühflasche) und starker Wind mit salzigem Aroma – das ist typisches Novemberwetter in Petersburg. Romantisch? Kann sein. Auf jeden Fall muss man keine Angst haben, wenn man von einer Traumstadt hört und durch ihre Straßen spaziert, ohne aus dem eigenen Zimmer hinauszugehen. 

“Ich habe mich gefühlt, als würde ich wirklich mit euch zusammen spazierengehen!”

“Dann wurde es dunkel, die Laternen gingen an und wir konnten Piter in einem völlig anderen Licht erleben.”

Zahlreiche Teamstunden, in denen wir uns besser kennenlernen und gemeinsame Aktivitäten organisieren.

“In meiner geliebten Teamstunde fällt es mir nicht schwer, aus mir herauszugehen und offen zu sprechen.”

“Es war echt klasse, selbst eine Teamstunde zu organisieren, mit den Leuten in Kontakt zu stehen und so weiter.”


“Die Teamstunde, die von den Freiwilligen selbst organisiert wurde … in ihrem Rahmen wurde eine Vielzahl von Fragen zum Nachdenken abgedeckt, es gab neue Perspektiven auf ein und dieselben Objekte/Ereignisse usw. Dieses Projekt hört nicht auf, mich zu überraschen und immer neue Dinge für mich zu eröffnen. Und es weckt ein verstärktes Interesse an der Geschichte und der Erinnerungskultur.”

Russisch- und Deutschkurse sowie ein Sprachtandemprogramm zwischen den Teilnehmer/-innen.

Im Rahmen des Programms erhalten die Freiwilligen die Möglichkeit, einen Russischintensivkurs (auf Anfänger- oder Fortgeschrittenenniveau) zu besuchen. Die russischen Freiwilligen können einen Deutschkurs besuchen.

Außerdem helfen wir den Freiwilligen, unter den Teilnehmenden eine/-n Tandempartner/-in zu finden, damit sie ihre Sprachkenntnisse vervollkommnen können. Diese Treffen organisieren die Freiwilligen selbstständig zu für sie passenden Zeiten.

Wöchentliche Gruppenaufgaben und Reflexionstreffen.

Die Entwicklung der Fähigkeiten zur Arbeit im Team (und vor allem, in einem internationalen!) ist ein wichtiger Teil des Programms. Die wöchentlichen Aufgaben umfassen Umfragen, organisatorische Fragen, Mini-Recherchen und das Verfassen von Texten.

Die Reflexionstreffen ermöglichen es, die Erfahrungen von der Teilnahme am Programm gedanklich zu verarbeiten und Eindrücke auszutauschen.

All das, was ich oben aufgezählt habe – das sind nur zwei Monate. Natürlich kommt hier noch die Kommunikation außerhalb der Treffen hinzu. Natürlich hatten wir auch gemeinsame Spiele, Tänze, Diskussionen sowie Besuche von Museen und Ausstellungen. Fragt nicht, wie wir es geschafft haben, dass alles in nur zwei Monate zu packen. Wir haben unsere kleine Welt: in den Zoom-Konferenzen, den Miro-Tafeln und den WhatsApp-Chats. Schaut es euch am besten auf unserem Instagram-Account an. 

Unser Rezept gegen Herbstdepression und Quarantänestress: zusammen sein und mehr lächeln!

“Was ist denn das für ein Freiwilligenprogramm, wo ihr die ganze Zeit nur lernt? Wann fangt ihr denn endlich mit dem Helfen an?”, könntet ihr fragen. Und wir antworten stolz, dass wir den Blockadeüberlebenden helfen, soweit es geht (schließlich ist sehr wichtig, ein/-e aufmerksame/-r Zuhörer/-in für ihre Geschichten zu sein, ihnen die Welt der modernen Technik zu eröffnen und gemeinsam Zeit zu verbringen). Auch haben wir bereits begonnen, unsere eigenen Projekte im Bereich der Erinnerungskultur zu entwickeln. Sobald wir bereit sind, sie einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen, werden wir davon berichten.

Momentan sage ich bescheiden, dass wir, wie Erstentdecker, noch ein wenig mutiger sein sollten – indem wir neue Formate, Spiele und Digital-Projekte einführen und noch bekanntere Referent/-innen aus allen möglichen Ländern einladen. Denn wann werden wir wohl noch so unabhängig von Grenzen und Entfernungen sein wie jetzt?

Bis zum 1. Februar nehmen wir Bewerbungen von denjenigen entgegen, die bereit sind, beim Frühjahrsprogramm unseres mutigen Freiwilligenteams der Humanitären Geste mitzumachen. Das Anmeldeformular findet ihr an derselben Stelle.

Wir sehen uns im neuen Jahr – oder fast täglich auf unserem Instagram-Profil!

* Die folgenden Zitate der Teilnehmer/-innen wurden anonymen Feedbackbögen entnommen.