Der Botanische Garten in der Blockadezeit
Der Botanische Garten in Sankt Petersburg ist ein Ort mit besonderer Atmosphäre. Wer hierher kommt, kann verschiedene Länder und Kontinente erleben, so vielfältig ist die Pflanzenwelt, die sich dem Besucher eröffnet. Allerdings glaubte nach dem Krieg nicht jeder daran, dass es möglich sein würde, diese Sammlung wiederherzurichten. Im heutigen Artikel berichten wir, wie der Botanische Garten den Krieg überstand und welche Pflanzen gerettet werden konnten.
Als Gründungsjahr des Garten gilt gemeinhin das Jahr 1714. Damals wurde auf Anordnung Peters des Großen der sogenannte „Apothekergarten“ angelegt: Dort züchtete man Heilkräuter und seltene exotische Pflanzen. Die Sammlung wurde erweitert und im Jahr 1823 wurde daraus der „Kaiserliche Garten“. Zum Jahr 1913 entstand ein Zentrum für russische Pflanzenkunde. Die Sammlung des Gartens war eine der größten weltweit, doch die Blockade fügte ihr erhebliche Schäden zu.
Am 15. November 1941 wurde der Garten erstmals von einer schweren Bombe getroffen. Dabei wurden die Gewächshäuser beschädigt, die Glasscheiben fielen heraus. Da die Außentemperatur zu jener Zeit bei minus 15 Grad lag, erfroren die Pflanzen. Ganz besonders betroffen waren die Palmen, für die ein solcher Temperatursturz äußerst kritisch war.
Insgesamt wurden im Herbst und Winter 1941 über 50 Brandbomben über dem Gebiet des Gartens abgeworfen, in den Jahren 1942/43 kamen noch 85 weitere hinzu. Dabei wurden fast alle Gewächshäuser zerstört und ein Großteil der Bäume im Park beschädigt. Die Mehrheit der tropischen und subtropischen Kollektionen gingen ein.
Einige Angestellte des Gartens wurden nach Kasan evakuiert, doch viele blieben in Leningrad und setzten ihre Arbeit fort: Sie brachten die Pflanzen, die gerettet werden konnten, in die noch erhaltenen Gebäude bzw. nahmen andere Exemplare mit zu sich nach Hause. Im Jahr 1941 wurden die Rettungsarbeiten sowie die Arbeiten zum Erhalt der Pflanzen von dem Wissenschaftler und Gartenbauer Nikolaj Iwanowitsch Kurnakow geleitet. Seinen Erinnerungen zufolge stand in seiner Wohnung alles voller Pflanzen. Er war aktiv in der Lehre und Wissenschaft tätig und hinterließ viele Bücher sowie Artikel über Pflanzenpflege. Dank seiner Bemühungen konnte der berühmte Kaktus „Die Zarin der Nacht“ gerettet werden, genauer gesagt, sein Wurzelstock. „Die Zarin“ erblüht nur in einer einzigen Nacht im Jahr und dieses Ereignis ist für den Botanischen Garten besonders symbolträchtig. Während des Krieges konnten vor allem Kakteen und andere Sukkulenten gerettet werden.
Die Angestellten des Botanischen Gartens setzten in der Blockadezeit ihre wissenschaftlichen Tätigkeiten fort: Sie hielten Vorträge in Lazaretten und verteidigten ihre Dissertationen. Auf dem Gelände war auch die wissenschaftliche Bibliothek in Betrieb.
Der Garten diente unter anderem den Bedürfnissen der Stadt. Es wurden Broschüren herausgegeben und Ausstellungen organisiert. Die Botaniker beschäftigten sich eingehender mit den Heilwirkungen von Pflanzen, ihrem Vitamingehalt und Möglichkeiten ihres Verzehrs. Im Jahr 1942 wurde eine Broschüre über essbare Pflanzen mit Rezepten für Gerichte herausgegeben: Sie enthielt Informationen darüber, wie man die Pflanzen korrekt erntet, zubereitet und lagert. Gesondert wurden Broschüren mit Informationen über die Behandlung von Vitamin-C-Mangel gedruckt. Wissenschaftler hatten ein Getränk aus Kiefernnadeln entwickelt und verfassten Anleitungen zu seiner Herstellung unter häuslichen Bedingungen.
Zudem untersuchte man weitere Eigenschaften der Pflanzen: Aus Flechten konnte erstmals ein Antibiotikum namens Binan gewonnen werden und man begann Moos als Verbandsmaterial zu nutzen. Die Anleitungen dazu, wie man Verbände aus Moos anlegt, wurden in den Lazaretten verteilt.
Im Botanischen Garten wurden auch Gemüsesetzlinge gezüchtet, hauptsächlich Kohlpflanzen. Der Park stellte Saisonarbeiter aus der Stadt ein, die dabei halfen, Heilkräuter und andere Kulturen heranzuziehen.
Die gesamte Kriegszeit über war auf dem Gelände des Gartens eine Ausstellung über essbare, therapeutische und giftige Pflanzen zu sehen. Es war wichtig, die Einwohner der Stadt darüber zu informieren, welche Pflanzen zum Verzehr geeignet und welche gefährlich sind. Dies musste nicht nur in Text-, sondern auch in Bildform gezeigt werden, denn einige Giftpflanzen sind ihren weniger gefährlichen „Geschwistern“ durchaus ähnlich.
Nach dem Durchbruch der Blockade am 18. Januar 1943 begann die Wiederherrichtung der Sammlung. Angesichts der Kriegsschäden stand man allerdings vor einer gewaltigen Aufgabe. Dabei kam Hilfe von vielen Seiten: Die Leningrader übergaben das, was sie hatten retten können, an den Botanischen Garten. Einige Pflanzen wurden von anderen Gewächs- und Tropenhäusern gestiftet. So wurde beispielsweise im Jahr 1946 eine große Menge Pflanzen aus Suchumi bereitgestellt. Zudem unternahm man Expeditionen nach Brasilien, Lateinamerika usw. Heute zählt der Gewächshauskomplex zu den größten in Russland.
Die Mitarbeiter des Botanischen Gartens halten die Erinnerung an die Blockade aufrecht. Es gibt themenspezifische Exkursionen und Rundgänge durch den Park. An jeder der während der Blockade geretteten Pflanzen hängt ein olivgrünes Bändchen in den Farben der Medaille „Für die Verteidigung Leningrads“.
Quellen:
Artikel über den Botanischen Garten während der Blockade auf der Website „Petersburg Center“