Projekte unserer Freiwilligen im Herbstprogramm 2020
Vom 1. Oktober bis 31. Dezember fand das erste Freiwilligenprogramm der “Humanitären Geste” im Online-Format statt. Drei Monate, prall gefüllt mit Zoom-Seminaren, -Exkursionen, -Diskussionen und natürlich Gesprächen mit Blockadeüberlebenden. Wie lief das ab? Das erfahrt ihr in einem unserer früheren Blogartikel.
Der letzte Programmmonat war der intensiven Arbeit an kreativen Projekten gewidmet. Die Freiwilligen taten sich in kleinen Gruppen zusammen und entwickelten eigene Ideen, wobei sie gleich mehrere Ziele zu erreichen versuchten: 1. ihren Landsleuten von der Leningrader Blockade zu erzählen (mit besonderem Fokus auf Deutschland, da über dieses Thema dort nicht allzu häufig gesprochen wird); 2. auf das Projekt “Humanitäre Geste” sowie Initiativen zur Bewahrung der Erinnerung an die Blockade aufmerksam zu machen; 3. die im Laufe des Programms gewonnenen Erfahrungen in kreativer Form zu verarbeiten.
Die Freiwilligen waren fast gänzlich frei bei der Auswahl von Thema und Format ihrer Projekte. Sie stützten sich auf ihre gemachten Erfahrungen sowie auf ihre bereits vorhandenen Fähigkeiten und eigenen Interessen. Jetzt können die Projekte einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Informationen zu den Projekten findet ihr jederzeit in unserer Online-Bibliothek. Die Materialien werden im Laufe des Frühjahrs 2021 veröffentlicht. Wundert euch daher nicht, wenn ihr ein bestimmtes Projekt noch nicht finden könnt. Über die neuesten Publikationen berichten wir regelmäßig auf unserem Instagram-Account. Im heutigen Artikel findet ihr einen Überblick aller Projekte, die unsere Freiwilligen im Dezember 2020 vorbereitet haben.
“Die Leningrader Blockade. 872 Tage Ewigkeit”: interaktive Ausstellung
Projektteam: Aleksandra Kolabinova, Anna Jaschkova, Elena Semenova, Kirill Levitte, Lars Fernkorn, Laura Höner, Léna Mücke, Luis Gies, Natalja Böhm, Veronika Warzycha.
Wo? Auf der Website der Deutschen Digitalen Bibliothek. Die Illustrationen und Videos zur Ausstellung sowie die übersetzten Gedichte von Stanislaw Fedosejew wurden separat in unserer Bibliothek veröffentlicht.
Die interaktive Online-Ausstellung basiert auf den Berichten von Zeitzeugen der Leningrader Blockade. Die Erinnerungen wurden in Text-, Audio- oder Videoformat veröffentlicht und mit Informationen zum Leben in der belagerten Stadt, den Schulen und Museen, der bildenden Kunst, Musik und vielen anderen Aspekten versehen. Die Macher/-innen der Ausstellung präsentieren ebenso eigene Gedichte, Performances, Interviews in Verbindung mit dokumentarischen Filmausschnitten sowie Videos des Projektteams. Die lllustrationen zur Ausstellung stammen von dem deutschen Teilnehmer Lars Fernkorn. Die Gedichte von Stanislaw Fedosejew (tatsächlicher Nachname Mikoni, Blockadeüberlebender und Teilnehmer des Programms) wurden eigens für das Projekt übersetzt. Die Ausstellung “Die Leningrader Blockade. 872 Tage Ewigkeit” auf der Website der Deutschen Digitalen Bibliothek ist online für alle Interessenten frei zugänglich.
“Die Leningrader Blockade war wohl eines der größten Kriegsverbrechen der Deutschen während des Zweiten Weltkriegs, bei dem über eine Million Menschen ums Leben kamen. Die meisten von ihnen verhungerten. Trotzdem spielt dieses Ereignis in der deutschen Erinnerungskultur kaum eine Rolle. Die Ausstellung soll dazu beitragen, dass das Thema in der deutschen Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit bekommt. Gleichzeitig soll sie ein Bewusstsein dafür schaffen, wie wichtig eine lebendige Erinnerungskultur ist. Wir erleben die letzten Jahre, in denen es uns möglich ist, mit den Blokadniki, den Überlebenden der Leningrader Blockade, persönlich zu sprechen. Durch die Ausstellung werden die Erzählungen der Zeitzeug/-innen nicht nur präsentiert, sondern auch archiviert und somit für die Nachwelt zugänglich gemacht. Als Produkt der Zusammenarbeit deutsch- und russischsprachiger Teilnehmer/-innen der “Humanitären Geste” soll die Ausstellung ebenfalls zum interkulturellen Austausch zwischen den Nationen beitragen. Wir wünschen anregende Gedanken und viel Spaß bei der Ausstellung.”
Materialien zur Leningrader Blockade für den Geschichtsunterricht an deutschen Schulen
Projektteam: Maria Senitschewa, Simon, Jekaterina
Während im heutigen Sankt Petersburg (von 1924 bis 1991 Leningrad) jedes Schulkind weiß, was die Leningrader Blockade im Kontext des Großen Vaterländischen Krieges bedeutet und welche Rolle sie in der eigenen Familie spielt, so wird in Deutschland selten über dieses Thema gesprochen. Das Projekt “Nie mehr Blockade” – eine ausführliche Unterrichtsskizze zum Thema Leningrader Blockade für deutsche Schulen – ist dazu gedacht, das Thema sowohl für Lehrer/-innen als auch für Schülerinnen und Schüler zugänglich zu machen und das Verständnis für die historischen Ereignisse jener Jahrer dank einer klaren Struktur sowie Arbeit in Kleingruppen zu erleichtern.
“Die Unterrichtseinheit ist so konzipiert, dass sie die deutschen Schülerinnen und Schüler bei ihrem Vorwissen abholt und dann systematisch eines der großen Kriegsverbrechen der Deutschen im Zweiten Weltkrieg bearbeitet. Dies geschieht vor allem durch Gruppenarbeiten und durch die Arbeit mit Texten von Zeitzeug/-innen. Im zweiten Teil der Einheit soll dann auch reflektiert werden, dass es in der deutschen Erinnerungskultur noch Leerstellen gibt und dass die Erinnerungskultur sowie die Sichtweise auf historische Ereignisse in verschiedenen Ländern unterschiedlich sein können. Ein Ablaufplan der Unterrichtseinheit sowie mögliche Arbeitsmaterialien und ergänzende Quellen finden sich in der Materialsammlung, sodass die Einheit leicht an verschiedene Bedürfnisse und Interessen angepasst werden kann. Lass uns zusammen die Öffentlichkeit Russlands und Deutschlands auf das Thema aufmerksam machen!”
Herstellung von Kontakten zu ausländischen Blockadevereinen
Projektteam: Aljona Majorowa
Wo? Auf der Seite “Blockadevereine außerhalb von SPB/Russland”.
Auf der ganzen Welt weiß man um die Leningrader Blockade und versucht, die Erinnerung an sie zu bewahren. Das Projektteam der “Humanitären Geste” hat sich entschlossen, mehr über Blockadevereine außerhalb von Sankt Petersburg herauszufinden, die Zeitzeugen zusammenbringen, den Kontakt unter ihnen aufrechterhalten und sie unterstützen. Das Projekt von Aljona Majorowa zielte darauf ab, solche Vereine im Ausland zu finden und den Kontakt zu ihnen herzustellen. Der Freiwilligen ist es gelungen, sich mit Vertretern zweier solcher Organisationen zu unterhalten: “Lebendige Erinnerung” aus Berlin und dem “Rat der Veteranen und Blokadniki” aus Hamburg. Jetzt kennen diese Organisationen uns und wir kennen sie – und sind bereit zur Zusammenarbeit und zu gemeinsamen Projekten.
Artikel für die Zeitung “Neues Deutschland”
Projektteam: Alexandra Kuring, Maximilian Kühl
Wo? In unserer Bibliothek, auf der Website von “Neues Deutschland” und in der Druckversion der Zeitung (Nr. 22 vom 27. Februar 2021).
Der Artikel “Auf der Straße des Lebens gelang die Flucht” basiert auf einem Interview mit Galina Pawlowna Jarotskaja, Blockadeüberlebende und Teilnehmerin unseres Programms, die zu Beginn der Blockade vier Jahre alt war. Im Interview berichtet sie von den Erinnerungen, die ihr besonders deutlich im Gedächtnis geblieben sind: das Donnern der Motoren der Militärflugzeuge, das Geräusch berstender Glasscheiben, der Luftschutzkeller ihres Mehrfamilienhauses und der Kampf ums Überleben. In Verbindung mit historischen Fakten erzählt der Artikel auf emotionale Weise vom schweren Blockadewinter, von der Evakuierung über die Straße des Lebens und der Rückkehr nach Leningrad nach dem Ende des Krieges.
Artikel über das Freiwilligenprogramm in der Zeitschrift “vitamin de”
Projektteam: Lars Fernkorn, Judith Heckenthalter
Wo? In unserer Bibliothek, auf der Website von “vitamin de” und in der Frühlingsausgabe der Zeitschrift.
Lars Fernkorn, Student der Universität Hamburg, Künstler und Freiwilliger der “Humanitären Geste”, berichtet in seinem Artikel für die Zeitschrift “vitamin de” über seine Eindrücke von der Teilnahme am Freiwilligenprogramm. Dabei geht er nicht nur darauf ein, worin das Projekt besteht, sondern auch darauf, wie das Kennenlernen der anderen Teilnehmer/-innen im Online-Format vonstatten ging, wie die Gespräche mit den Blockadeüberlebenden verliefen sowie auf seine Motivation und die erreichten Ziele.
Artikel über das Freiwilligenprogramm in der “Moskauer Deutschen Zeitung”
Projektteam: Viktoria Beresjuk, Jekaterina Grabarjewa
Wo? In unserer Bibliothek und in der dritten Ausgabe (Nr. 538) der “Moskauer Deutschen Zeitung” vom 18. Februar 2021.
“Eine große Geste. Wie junge Menschen sich mit dem Thema der Leningrader Blockade auseinandersetzen” ist ein Artikel der Journalistin und Freiwilligen Viktoria Beresjuk, der vor dem Start des Frühjahrsprogramms veröffentlicht wurde. Darin geht es um die Idee des Projekts, seine Umsetzung in den Zeiten der Pandemie sowie um Perspektiven für die Zukunft. Viktoria präsentiert zudem Kommentare von Arina Nemkowa, Direktorin des Deutsch-Russischen Begegnungszentrums (drb), und Milena Tretjakowa, Entwicklungsdirektorin der Autonomen nichtkommerziellen Organisation “Erinnerungskultur”. Zeitgleich führte unsere Freiwillige Jekaterina Grabajewa, Studentin an der Fakultät für Internationale Beziehungen der Staatlichen Universität Sankt Petersburg, eigens eine Analyse von 326 Artikeln in insgesamt fünf deutschen Zeitungen durch, die zwischen 2008 und 2020 veröffentlicht wurden. Die Ergebnisse dieser Recherche wurden in einem Artikel über Daniil Granin und seine Rede im Bundestag publiziert. Beide Artikel sind in russischer Sprache in unserer Bibliothek zu finden.
Studentisches Forum “Erinnerungskultur: Russland und Deutschland”
Projektteam: Maria Senitschewa
Wo? Bericht über die Veranstaltung auf unserem Instagram-Kanal.
Die gemeinsame historische Aufarbeitung der deutsch-russischen Vergangenheit ist außerordentlich wichtig. Zu diesem Schluss kamen unsere Freiwilligen gemeinsam mit Studierenden der Staatlichen Leningrader Puschkin-Universität sowie deren Dozierender bei einem Online-Treffen, das am 15. Dezember stattfand. Dabei diskutierten sie nicht nur über Erinnerungskultur, sondern berichteten auch über Familiengeschichten aus der Zeit des Großen Vaterländischen Krieges, die niemanden kalt ließen. Die Teilnehmenden waren sich darüber einig, dass familiären Erinnerungen im Kontext der Erinnerungskultur in Russland eine außergewöhnliche Bedeutung zukommt und dass es schwierig ist, subjektive Wahrnehmung und objektive Analyse auseinanderzuhalten.
Werbefilm für zukünftige Teilnehmer/-innen des Freiwilligenprogramms
Projektteam: Lukas Kersting, Frederik Urban, Giulia Gräser
Wo? Auf unserem Instagram-Kanal.
In diesem kurzen, dynamischen Werbefilm erzählen die Freiwilligen davon, was ihnen am Programm besonders gefallen hat, und erläutern, warum junge Menschen, die sich für Geschichte interessieren, unbedingt daran teilnehmen sollten. Das Video wurde auf unserem Instagram-Kanal veröffentlicht und soll die Aufmerksamkeit derer auf sich ziehen, die gerade erst anfangen, sich über die “Humanitäre Geste” zu informieren.
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Das sind sie – die acht völlig verschiedenen Projekte, die unsere Freiwilligen auf Basis ihrer im Laufe des Programms gewonnenen Erfahrungen umgesetzt haben.
Was haben diese Projekte der Welt gebracht? Natürlich die Erinnerungen der Blockadeüberlebenden an die Ereignisse jener Zeit. Sie alle tragen im Großen und im Kleinen dazu bei, die Erinnerung an jene schweren Prüfungen aufrechtzuerhalten, die Leningrad während des Zweiten Weltkriegs durchmachen musste.
Was hat die Projekttätigkeit für die Freiwilligen gebracht? Das sollten sie lieber selbst erzählen:
“Die Projekte, die wir in Gruppen mit den Teilnehmern nach den Zeitzeug/-innengesprächen begannen, waren sehr intensiv und halfen auf jeden Fall, all das, was wir in den vorangegangenen zwei Monate gelernt hatten, in Form zu bringen. Die Arbeit an der multimedialen Ausstellung war vielfältig und jeder konnte die passende Aufgabe für sich finden und sich kreativ einbringen. […] Es ist schön zu wissen, dass man nach diesen drei Monaten auch etwas geschaffen hat, was das Thema der Leningrader Blockade anderen Leuten näherbringen wird.”
Veronika Warzycha.
“In der Gruppe ein eigenes Projekt zu gestalten, war eine Herausforderung für mich. Doch meine Gruppe war hilfsbereit und voller Ideen. Durch viele Besprechungen kamen wir endlich zu einem Ergebnis, mit dem wir alle zufrieden waren. Für meinen Berufsweg war das sehr wertvoll.”
Maria Senitschewa.
“Ich wollte in der letzten Etappe des Projekts mein Bestes zu geben. Im Projektmonat wurden uns viele Freiheiten gewährt, um unsere eigenen Ideen und unsere eigene Kreativität umzusetzen.”
Frederik Urban.
Beenden möchte ich diesen Artikel mit einem Zitat aus dem Abschlussbericht von Luis Gies, einem Teilnehmer des Herbstprogramms und Mitgestalter der interaktiven Ausstellung:
“So entstanden sehr unterschiedliche und kreative Arbeiten, die hoffentlich noch viele Menschen bereichern werden und die Geschichte(n) auch für spätere Generationen zugänglich machen, denn „Wer die Vergangenheit nicht kennt, ist dazu verurteilt, sie zu wiederholen.“ (vgl. Santayana 1905:284).”
Luis Gies