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Gedenktag im Haus des Films

Gedenktag im Haus des Films

Am 8. September 1941, vor genau 80 Jahren, begann die Leningrader Blockade. Sie dauerte 872 Tage und gehört zu den tragischsten Episoden des Großen Vaterländischen Krieges. Traditionell werden in Sankt Petersburg (dem früheren Leningrad) zu diesem Anlass zahlreiche Gedenkveranstaltungen durchgeführt. Unter anderem versammeln sich am Gedenktag für die Opfer der Blockade die Bewohner/-innen Petersburgs, um die Verstorbenen zu benennen: Auf den Höfen der Häuser und Schulen sowie öffentlichen Plätzen werden Listen mit den Namen der Opfer verlesen.

Im Rahmen des Freiwilligenprogramms haben wir gemeinsam mit unseren Freund/-innen aus dem Projekt “Die bewahrte Kultur” und dem Haus des Films einen Gedenktag für Überlebende und Kinder der Blockade im Haus des Films organisiert. Unsere Aufgabe war es, den Zeitzeugen die ihnen gebührende Aufmerksamkeit zu schenken, ihnen die Möglichkeit zu bieten, ihre Geschichten zu erzählen, und den Tag für sie zu etwas Besonderem zu machen.

Am Vorabend der Veranstaltung trafen sich die Freiwilligen im Konferenzsaal des Deutsch-Russischen Begegnungszentrums, um den finalen Ablaufplan durchzugehen. Neben dem aktuellen Freiwilligenteam Herbst 2021 nahmen auch einige Alumni an der Vorbereitung und Durchführung des Treffens teil.

Letzte Vorbereitungen für den Gedenktag.

Der Morgen des 11. September begann mit einem zweistündigen Workshop, geleitet von Alexej Oliferuk – Journalist, Regisseur, Sonderkorrespondent der Staatlichen Fernseh- und Radioanstalt “Sankt Petersburg” und Mitglied des Journalistenverbands Sankt Petersburg. Für das Projekt “Blockade. Stimmen” führte Alexej mehr als 300 Interviews mit Überlebenden der Blockade. Seine Erfahrungen bei der Arbeit mit diesen Zeitzeugen teilte er mit den Freiwilligen und führte sie in den Bereich des Journalismus ein: Gemeinsam erarbeiteten die Teilnehmenden die Struktur eines Zeitzeugeninterviews und bereiteten Fragen für die anschließenden Gespräche vor.

Alexej Oliferuks Workshop für die Freiwilligen der “Humanitären Geste”.

Am Nachmittag begrüßten die Freiwilligen die Gäste. Die Blockadeüberlebenden trugen anlässlich des Gedenktags festliche Kleidung, geschmückt mit Medaillen und Orden. Für uns hatten sie Fotografien aus jener Zeit sowie Geschichten vorbereitet, die sie zu teilen bereit waren. Beinahe ehrfurchtsvoll nahmen die Freiwilligen die Gäste in Empfang und geleiteten sie in den Saal, in dem feierliche Reden und Gedichte erklangen.

Im Mittelpunkt des Gedenktags stand der generationsübergreifende Dialog – das beliebteste Format des Freiwilligenprogramms. Gemeinsam mit den jungen Menschen saßen die Blockadeüberlebenden an großen runden Tischen, tranken Tee und sprachen über die Vergangenheit, die eine unauslöschliche Spur im Schicksal eines jeden von ihnen hinterlassen hat. Die Atmosphäre war familiär, der Saal erfüllt vom Stimmenlärm und dem Rascheln der Seiten in den Fotoalben, welche die Blockadeüberlebenden zeigten. Sie berichteten nicht nur über ihr eigenes Schicksal, sondern auch von ihren Verwandten und Freunden, von denen nicht alle die Blockade überlebten. Trotz der bedrückenden Erinnerungen, die in den Dialogen wiederauferstanden, hatte man den Eindruck, dass der rote Faden in allen Gesprächen die Hoffnung war, dass diese Ereignisse der Vergangenheit angehören und sich niemals mehr wiederholen werden.

Parallel zu den herzlichen Gesprächen war im Eingangsbereich ein Fotostudio aufgebaut. Zwei Fotografen empfingen mit einem Lächeln auf den Lippen jene Blockadeüberlebenden, die zum Andenken ein Porträt von sich machen lassen wollten. Studiobeleuchtung, zwei Rundpanoramen in unterschiedlichen Farben, das Klicken der Auslöser … die Fotografen suchen mit der Kamera den idealen Winkel, während die Blockadeüberlebenden ihre Anzüge, Kleider und Frisuren zurechtzupfen – ein wahrer Festtag. In Zukunft könnten diese Aufnahmen sowie die gesammelten Erinnerungen möglicherweise die Grundlage für eine Ausstellung über die Überlebenden der Blockade bilden.

Die Porträts der Blockadeüberlebenden.

Nach der gemütlichen Teetafel und dem Fotoshooting nahmen wir alle gemeinsam im Kinosaal Platz. Schließlich befanden wir uns ja im Haus des Films! Gezeigt wurde der Dokumentarfilm “Die Architektur der Blockade”, der von der Tarnung Leningrads in den Jahren des Großen Vaterländischen Krieges handelt: von den Architekten, Ingenieuren, Künstlern und Bergsteigern der Stadt, welche die weltberühmten Gebäude und Denkmäler Leningrads vor der Zerstörung bewahrten. Der Film wurde von unseren Partnern und Freunden vom Projekt “Die bewahrte Kultur” gedreht. “Die Architektur der Blockade” wurde im Rahmen unseres Projekts ins Deutsche übersetzt.

Nicht nur für die Blockadeüberlebenden, auch für die Freiwilligen war dieser Gedenktag ein wunderbares Erlebnis. Für letztere war dies die erste Erfahrung eines Gesprächs mit Zeitzeugen der Blockade. Die Freiwilligen bereiteten sich mit großer Aufmerksamkeit und zum Teil auch mit einer gewissen Anspannung auf diesen Tag vor. Sie bewiesen dabei, dass sie bereits jetzt imstande sind, in Teams selbstständig an eigenen Projekten zu arbeiten.

Wir bedanken uns bei unseren Gästen, den Blockadeüberlebenden, dass sie diesen Tag gemeinsam mit uns verbracht haben und uns gestatteten, Einblick in ihre Geschichten zu nehmen. Des weiteren bedanken wir uns bei unseren Partnern, dem Projekt “Die bewahrte Kultur” und dem Haus des Films, für die vertrauensvolle Zusammenarbeit und Unterstützung.