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Freiwilligenprogramm der “Humanitären Geste”: Interview mit einer Teilnehmerin

Freiwilligenprogramm der “Humanitären Geste”: Interview mit einer Teilnehmerin

Wir haben bereits darüber berichtet, dass in diesem Herbst das Freiwilligenprogramm im Rahmen der “Humanitären Geste” im Online-Format gestartet ist. Seit einem Monat beschäftigen sich die Projektteilnehmer/-innen aus Deutschland und Russland mit der Geschichte der Blockadezeit. Sie durchlaufen einen Kurs zur interkulturellen Kommunikation, diskutieren über Erinnerungskultur und unterhalten sich auch in informellerer Atmosphäre- Außerdem lernen sie Russisch bzw. Deutsch in Kursen und Sprachtandems.

Lena Mücke, Projektteilnehmerin aus Berlin, hat uns ihre ersten Eindrücke geschildert und uns erzählt, warum sie sich entschieden hat, am Programm teilzunehmen.

Frage 1: Wieso hast du dich entschieden, an unserem Freiwilligenprojekt teilzunehmen?

“Für dieses Projekt habe ich mich entschieden, da ich sehr an deutsch-russischen Kontakten und dem Austausch interessiert bin und unbedingt mehr über die gemeinsame Geschichte und insbesondere über die Geschichte der Leningrader Blockade erfahren möchte. Für mich ist dieser Austausch sehr wichtig, da er trotz der politischen Situation die Möglichkeit schafft, eine positive Verbindung zwischen unseren beiden Völkern zu schaffen.”

Frage 2: Wusstest du schon vor dem Projekt etwas über die Geschichte der Leningrader Blockade?

“Leider war mein Wissen vor dem Projekt begrenzt. In der Schule wurde die Leningrader Blockade nicht thematisiert. Das Wissen, welches ich besaß, sammelte ich während eines zweimonatigen Aufenthalts in Sankt Petersburg Anfang des Jahres 2020. Viel lernte ich außerdem durch eine sehr spannende Dokumentation im Fernsehen, die die Geschichte der Leningrader Blockade mit der Entstehung der 7. Sinfonie von Schostakowitsch verband.”

Frage 3: Was macht ihr jetzt im Projekt?

“Das Programm unseres Projektes ist sehr vielfältig. Momentan lernen wir viele interessante Fakten über die Geschichte der Leningrader Blockade. Über das harte, entbehrungsreiche alltägliche Leben der Leningrader Bevölkerung und über die Maßnahmen, die sie ergriffen hatten, um diese wunderschöne Stadt zu schützen. Interessant war es in diesem Rahmen, mehr über die Eremitage während der Blockade und die Straße des Lebens zu erfahren. So erfuhren wir z. B., dass die LKW-Fahrer mit einer offenen Tür über den Ladogasee fuhren, um im Notfall aus dem Wagen springend ihr Leben zu retten, wenn das Eis unter der Belastung brach.

Außerdem beschäftigen wir uns mit interkultureller Kommunikation. Wobei es sehr interessant ist zu erfahren, wie Russen und Deutsche sich gegenseitig wahrnehmen und was für Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen unseren beiden Kulturen bestehen. Innerhalb der wöchentlich stattfindenden Teamstunden befassen wir uns aktuell mit der Erinnerungskultur, dazu besuchten die Teilnehmer in ihrem Heimatland ein Museum. In Sankt Petersburg wurde das Blockademuseum und in Berlin-Karlshorst das Deutsch-Russische Museum besucht. Vor Ort wurden interessante Gegenstände fotografiert, die jetzt der gesamten Gruppe vorgestellt werden. Auf russischer Seite wurden unter anderem Spielzeuge, Kunstwerke und phosphoreszierende Gegenstände, Briefe und Ersatzlebensmittel aus der Blockadezeit präsentiert sowie auf deutscher Seite etwa der Kapitulationsvertrag aus dem Zweiten Weltkrieg oder seltene Münzen. Bald werden wir mehr über den Umgang mit Senioren lernen und auf Zeitzeugen treffen, dies ist für viele Teilnehmer eines der Highlights. Im Rahmen des Projektes besteht außerdem die Möglichkeit, seine Sprachkenntnisse mittels Unterricht und Tandempartner zu verbessern, dies ist ein gern genutztes Angebot.”

Frage 4: Warst du früher schon mal in St. Petersburg? Wenn ja, hast du einen Lieblingsort in der Stadt?

“In Sankt Petersburg durfte ich zwei wunderbare Monate verbringen, deshalb ist die Stadt praktisch ein einziger großer Lieblingsort für mich. Sie ist eine der schönsten Städte, die ich kenne. Zu gern erinnere ich mich an den Newski Prospekt, die Hauptschlagader der Stadt. Sie sprüht nur so vor Leben, vor allen Dingen am Wochenende, wenn die Passanten der Musik der Straßenbands lauschen oder dazu tanzen. Gerade im Dunkeln, wenn all die Lichter an den Hausfassaden anfangen zu leuchten, ist der Newski Prospekt so schön, dass man bei diesem Anblick vor Freude und Glück berührt ist. Immer wieder erinnert werde ich daran durch die Petersburger Novelle “Der Newski Prospekt ” von Gogol. Gern saß ich in einem Café und beobachtete das Treiben. Ein weiterer schöner Ort, den mir übrigens eine drb-Mitarbeiterin (Anna) gezeigt hat, ist das Café “Civil” im Golizyn Loft. Am Fenster sitzend hat man hier einen schönen Blick auf die Fontanka, in der sich im Winter die Eisschollen stauen, ein faszinierender Anblick, den man aus Berlin nicht gewohnt ist.

Sehr angetan war ich auch von Neu-Holland; die Backsteinarchitektur, die Vielfalt an Beschäftigungs- und Essensmöglichkeiten sowie das gesamte Areal haben mich sehr beeindruckt.”

Frage 5: Hast du irgendwelche Blockadedenkmäler/-gedenkstätten vor Ort besucht? Wenn ja, was hat dich am meisten beeindruckt?

“Gleich auf der Fahrt vom Flughafen in die Stadt wurde mir im Vorbeifahren das Denkmal der “Stadtbelagerung von Leningrad” gezeigt. Etwas später besuchte ich den Piskarjowskoje-Friedhof. Mich hat an diesem mit viel Hingabe gepflegten Ort die ehrenvolle Stille beeindruckt. Sehr beeindruckt hat mich die Geste, Brot und Zucker auf die Gräber zu legen, um daran zu erinnern, dass die meisten während der Blockade an Hunger gestorben sind. Erschütternd waren zudem die mit einer Jahreszahl versehenen Massengräber, die einem einen kleinen Teil des Ausmaßes des Leides bewusst machen.

Innerhalb des Freiwilligenprojektes lerne ich so viel neues, dass ich Sankt Petersburg beim nächsten Besuch noch einmal unter ganz neuen Gesichtspunkten erkunden möchte. Es gibt so viele Orte, die man bei einem einfachen Stadtspaziergang nicht wahrgenommen hat. Etwa die Gedenktafel an der Fontanka, welche daran erinnert, dass sich viele aus Eislöchern mit Wasser versorgen mussten, oder die Lautsprecher, die aus dem Zweiten Weltkrieg stammen und sich noch an einem Haus am Newski Prospekt befinden.”

Frage 6: Was würdest du den zukünftigen Freiwilligen des Projektes wünschen bzw. empfehlen?

“Den zukünftigen Freiwilligen wünsche ich ganz viele großartige Erlebnisse, Erfahrungen und neue Freundschaften. Ich empfehle den Freiwilligen, mit viel Freude und Offenheit an dieses Projekt heranzugehen. Es ist eine wunderbare Möglichkeit, nicht nur mehr über die Leningrader Blockade, sondern auch über die russische und deutsche Kultur sowie Sprache zu erfahren. Man lernt spannende neue Menschen kennen, mit denen der Austausch Spaß macht und die alle ihre eigenen interessanten Geschichten zu erzählen haben. Mit der Zeit bildet sich eine richtig gute Gemeinschaft gleichgesinnter weltoffener junger Leute, die sich für ein besseres Miteinander unserer Kulturen einsetzen, gemeinsam Geschichte erleben und dankbar für die Möglichkeit sind, mit den Blockadniki zu sprechen.”

Das Projektteam der “Humanitären Geste” dankt Lena für dieses Feedback und wünscht allen Freiwilligen und zukünftigen Teilnehmer/-innen einen interessanten Projektverlauf! Bis bald (wenn auch vorläufig online)!