Ergebnisse des Programms für junge Journalist/innen
Der Herbst 2019 stand ganz im Zeichen der Programmstarts im Rahmen des Projekts “Humanitäre Geste”. Neben organisierten Gruppen, die für eine Woche nach Sankt Petersburg gekommen sind, um sich mit der Geschichte der Leningrader Blockade bekannt zu machen, haben auch viele Freiwillige am Projekt teilgenommen. Über den Erfolg der Freiwilligenprogramms haben wir bereits in einem unserer früheren Artikel berichtet. Heute aber geht es um die Teilnehmenden des Programms für angehende Journalist/innen.
Im Rahmen dieses Programm kamen fünf junge Journalist/innen aus Deutschland nach Sankt Petersburg, wo sie zwei Monate verbrachten. Einige der Freiwilligen studieren noch, andere arbeiten bereits – aber alle von ihnen beschäftigen sich, ob professionell oder als Hobby, mit Journalismus.
Wie sich bereits in den ersten Tagen klar herausstellte, war das Interesse an der russischen Sprache ein weiterer Faktor, der alle fünf Freiwilligen verband. Einige Teilnehmer hatten sogar schon ein wenig Russisch gelernt, sodass die Fahrt nach Sankt Petersburg ihnen eine wunderbare Möglichkeit bot, ihr erlerntes Wissen in der Praxis anzuwenden.
Aber auch diejenigen, die noch kein Russisch konnten, blieben im fremden Land nicht ihrem Schicksal überlassen. Das Deutsch-Russische Begegnungszentrum organisierte Russischkurse, bei denen die Freiwilligen eindrucksvolle Resultate erzielten.
“Die Teilnehmer konnten schon viel über die russische Sprache lernen. Es wurden unterschiedliche Situationen und Wortfelder bearbeitet und grammatische Regeln wurden fleißig trainiert. Auch die Vorschläge und Wünsche der Kursteilnehmer werden immer berücksichtigt. […] Es ist immer erfreulich, sich außerhalb des Unterrichts verständigen zu können und das Gelernte direkt umzusetzen. Es ist auch ein einmaliges Erfolgserlebnis, wenn die Kommunikation mit Muttersprachlern gelingt.”
Dominique Hausler, Teilnehmerin des Projekts
Die Aktivitäten der Freiwilligen beschränkten sich natürlich nicht nur auf Russischkurse. Für sie wurde ein sehr reichhaltiges und abwechslungsreiches Programm vorbereitet. Die zwei Monate waren gefüllt mit theoretischen und praktischen Seminaren zu interkultureller Kommunikation, Vorträgen und Workshops zur Geschichte der Leningrader Blockade sowie Besuchen von Museen und Gedenkstätten, die mit der Kriegszeit verbunden sind.
Die beeindruckendsten Momente für die Freiwilligen waren unmittelbar mit den Begegnungen mit Blockadeüberlebenden verbunden, die häufig und in verschiedenen Formaten stattfanden. Die angehenden Journalist/innen dokumentierten die Erinnerungen der Senior/innen, von denen sie in zum Teil sehr persönlichen Gesprächen erfuhren.
“Die Zeitzeugin an meinem Tisch berichtete viel über Wunder. Dazu zählte sie unter anderem die Tatsache, dass während eines Luftangriffs eine Bombe direkt in das Nachbarhaus einschlug und ihr Haus verschont blieb. Sie berichtete auch von der enorm wichtigen Funktion ihrer Tante, die die Familie durch ihre Diszipliniertheit am Leben halten konnte. So behielt sie den Überblick über die Vorräte, notierte die Kalorien der Mahlzeiten und nähte Kleidung, welche auf den Märkten verkauft oder gegen weitere Lebensmittel eingetauscht werden konnte. Außerdem berichtete uns die Zeitzeugin – Beatrice – ausführlich, welche Materialen für die Herstellung von Mahlzeiten genutzt wurden. Tischlerleim war besonders beliebt, da er vergleichsweise viele Kalorien hatte, auch Gras, Beeren und Pilze wurden gesammelt, um sie zu verarbeiten. […] Immer wieder betonte sie, wie sehr ihr alle Tage der Blockadezeit ins Gedächtnis gebrannt sind und dass sie keinen einzigen Tag dieser Schreckenszeit je vergessen wird.”
Dominique Hausler, Teilnehmerin des Projekts
Diese und ähnliche Geschichten wie auch Berichte über ihre anderen Aktivitäten veröffentlichten die angehenden Journalist/innen auf der offiziellen Instagram-Seite des Projekts.
Nach dem Abschluss des offiziellen Programms legten die Freiwilligen aber nicht einfach die Hände in den Schoß. Während des Programms kochte das Leben nur so über: Die Teilnehmenden halfen bei der Organisation von Sprachtreffen für Deutschlernende, unterhielten sich mit russischen Schüler/innen, besuchten Vorträge zur Geschichte der Russlanddeutschen, kochten während eines Kochworkshops traditionelle russische Gerichte, erprobten bei einem Theaterworkshops ihre schauspielerischen Fähigkeiten und fanden sogar noch Zeit, an Feiern teilzunehmen.
Zudem fand im Dezember ein dreitägiges theoretisch-praktisches Seminar für angehende Journalist/innen statt. Für die Teilnahme am Seminar gab es über 40 Anmeldungen: Von deutscher Seite konnten schließlich 21 Personen teilnehmen, von russischer Seite 6 Personen. Bei dem Seminar, das vorrangig dem Thema der Bewahrung des historischen Gedächtnisses und der Rolle von Journalist/innen in diesem Prozessen gewidmet war, konnten Spezialist/innen aus Deutschland und Russland von ihre Erfahrungen berichten. Die Teilnehmenden konnten im Laufe von lebhaften Diskussionen ihre Meinungen austauschen, Vorträge hören und im Rahmen des Workshops “Medien, internationaler Journalismus und historische Ereignisse” Neues schaffen. Im Rahmen des Seminars wurden natürlich auch Exkursionen durchgeführt, beispielsweise in das Museum “Kobona: Straße des Lebens”.
Als Ergebnis ihres Aufenthaltes in Sankt Petersburg wurden von den freiwilligen Journalist/innen zahlreiche Materialien gesammelt und festgehalten: Interviews mit Blockadeüberlebenden, schriftliche Porträts von Blokadniki, Fotografien, Blogartikel und Publikationen in sozialen Netzwerken, eine Ausstellung und ein Film, an dem Blockadeüberlebende beteiligt waren.
Momentan wird auch an einer Informationsbroschüre gearbeitet, die sowohl einen historischen Teil als auch aktuelle Informationen zum Projekt “Humanitäre Geste” enthält.
Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland möchten die Freiwilligen weiter an diesem Thema arbeiten und allen Interessierten über die Leningrader Blockade und das Projekt berichten, damit die Arbeit, die im Rahmen dieses Pilotprogramms von fünf Freiwilligen begonnen wurde, fortgesetzt werden kann.
Entsprechend gewürdigt wurden die Freiwilligentätigkeit im Rahmen des Projekts “Humanitäre Geste” auch vom Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, Dr. Géza Andreas von Geyr, der das Deutsch-Russische Begegnungszentrum im November 2019 gemeinsam mit der Generalkonsulin der Bundesrepublik Deutschland, Dr. Eltje Aderhold, besuchte.
“Der Botschafter erklärte, dass wir alle durch unsere Teilnahme am Pilotprojekt „Humanitäre Geste“ selbst zu Botschaftern werden. Als Historiker betonte er auch die Relevanz von geschichtlichem Wissen für eine gemeinsame und friedliche Zukunft. […] Durch die Kommunikation und Betreuung der Zeitzeugen wird hier auf zwischenmenschliche Art und Weise gearbeitet, die durch den Kontakt mit eben diesen und ihren Familienangehörigen zu einem besseren Bild voneinander verhilft.”
Dominique Hausler, Teilnehmerin des Projekts
Wenn auch das Pilotprojekt mittlerweile zu Ende gegangen ist, so geht doch das Projekt weiter. Wir suchen eine neue Gruppe von Freiwilligen für die Arbeit mit den Erinnerungen der Blockadeüberlebenden. Falls ihr an einer Teilnahme am Programm interessiert seid, schreibt der Koordinatorin des Projekts, Ksenia Klyukina. Vielleicht kommt ihr ja schon in diesem Jahr nach Petersburg und leistet euren Beitrag zum Erhalt der Erinnerung an die Blockade.