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Ein Fußballspiel im belagerten Leningrad

Ein Fußballspiel im belagerten Leningrad

Im April 1923 wurde in Moskau der erste proletarische Sportverein („Dynamo“) gegründet. Später folgten viele sowjetische Großstädte dem Beispiel Moskaus und organisierten ihre eigenen „Dynamo“-Klubs. So entstand auch ein Verein in Leningrad.
Im Jahr 1928 gab es in der Leningrader Abteilung bereits 15 Sektionen, in denen über 800 Personen Sport trieben. Angeboten wurden Fußball, Leichtathletik, Gewichtheben, Ringen, Jiu Jitsu, Boxen und vieles mehr.
In den dreißiger Jahren wurden die Aktivitäten der Vereine im ganzen Land ausgeweitet und der Sport gewann an Popularität.

Nach Beginn des Großen Vaterländischen Krieges wurde im „Dynamo“-Stadion ein militärischer Ausbildungspunkt eingerichtet. Dort wurde man in den Disziplinen Schießen, Nahkampf sowie Aufklärungsarbeit geschult und durchlief eine allgemeine physische Vorbereitung. Die Arbeit fand in mehreren Bereichen statt: Ein Teil der Leningrader Dynamo-Mitglieder bildete Scharfschützen, MPi-Schützen sowie Kommando-Einheiten der unteren und mittleren Ränge aus; der andere arbeitete im Hospital und organisierte Heilgymnastik für die Verwundeten. Ebenso nahmen sie an der lokalen Luftverteidigung teil, löschten Brände auf den Straßen und halfen den Verletzten in der Stadt. Man sollte meinen, dass es unter diesen Umständen keinen Platz für Sport gegeben habe – doch dem war nicht so.

Der 31. Mai 1942 ging in die Geschichte als der Tag ein, an dem das erste Fußballspiel im belagerten Leningrad stattfand. Das Stadion war zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr zum Spielen zu gebrauchen: Eines der Fußballfelder war zerstört, das andere zum Gemüsegarten umfunktioniert worden. So wurde auf dem dritten Feld gespielt, das eigentlich als Reserve vorgesehen war.
Dabei traf „Dynamo“ auf die Mannschaft des „Leningrader Metallwerks“. Es wurden sowohl Profifußballer aufgestellt, die vor dem Krieg für „Zenit“ oder „Spartak“ gekickt hatten, als auch Laien-Spieler, die in der Fabrik arbeiteten. Viele der Spieler waren von der Front abberufen worden, um an diesem denkwürdigen Ereignis teilzunehmen – zum Beispiel Viktor Nabutow, der am Newa-Brückenkopf kämpfte, oder Georgi Medwedjew, der Fahrer auf der Straße des Lebens war.

Mit Rücksicht auf den Zustand der Fußballer wurde das Spiel in verkürzter Form abgehalten: zwei Halbzeiten à 30 Minuten, dazwischen gab es eine kurze Pause. Trotz Auszehrung und kaum vorhandener Kräfte hielten die Spieler bis zum Schluss durch. „Dynamo“ gewann mit 6:0. Aber war das Ergebnis wirklich so wichtig?
Diesem Fußballspiel kam wohl eine ebenso große Bedeutung zu wie der Premiere der Leningrader Sinfonie am 9. August 1942. Es symbolisierte das Leben der Stadt, die ihren Kampf in jedem Fall fortsetzen würde.Im Jahr 2012 wurde zu Ehren dieses denkwürdigen Spiels in der Nähe des Stadions ein Denkmal eingeweiht, das die Namen der Spieler beider Mannschaften auflistet. Der Bildhauer Salawat Schtscherbakow1 sagte über dieses Denkmal:

Das Denkmal sollte nicht riesig sein, nicht pathetisch. Wir wollten, dass es aufrichtig ist und zum Heldenmut jener Zeit passt. Die Idee dazu kam nur schwer zustande. Es wurde eine relativ neuartige Lösung gefunden, die jedoch auf jene Tage verweist. Neben zwei Spielern in alten Uniformen umfasst die Komposition die Mosaik-Kopie einer Fotografie des Spiels von 1942, die aus dem Archiv des Veteranen-Rats vom FC „Dynamo“ stammt.

Am Eingang zum Stadion ist außerdem eine Gedenktafel zu sehen.

Das Phänomen „Fußball im belagerten Leningrad“ wird weiterhin von Historikern untersucht. Im Jahr 2018 erschien das Buch „Das erste Blockadespiel“, in dem der Autor A.L. Dunajewski Informationen und Fotografien aus dem Archiv vorstellt.
Auf das erste Buch folgte im Jahr 2020 ein zweites: „Blockadefußball: die Geschichte der legendären Spiele“. Die Autoren A.L. Dunajewski und S.A. Rumjanzew berichten darin ausführlich über die Fußballspiele, die nach dem ersten Spiel im belagerten Leningrad stattfanden. Historiker setzen sich auch heute mit diesem Thema auseinander und finden immer mehr Informationen in den Archiven sowie Berichte von Zeitzeugen.
Außerdem wurde 2020/21 von den Autoren der oben genannten Bücher eine Website eingerichtet, auf der alle aktuellen Materialien zu diesem Thema zu finden sind.

Im Jahr 2022 wurde im „Lenfilm“-Studio der dokumentarische Spielfilm „Blockadefußball“ gedreht.


1 Zitiert nach: L.R. Grigolowitsch, W.G. Rautian, ZSI GmbH (hrsg.): „Fußball der Sieger“. Sankt Petersburg 2015.

Quellen:

Geschichte der Organisation „Dynamo“ auf deren offizieller Website

Artikel über das Fußballspiel auf der Website der Präsidentenbibliothek B.N. Jelzin

Meldung über das Fußballspiel auf der Website der Zeitung „Sankt Petersburger Nachrichten“