Die Petersburger Vorstädte während der Blockade, Teil 6. Peterhof
Während der Blockade befanden sich die meisten Vorstädte Leningrads unter feindlicher Besatzung – so auch Peterhof mit seinem berühmten Park- und Palastensemble, das häufig als das russische Versailles bezeichnet wird. Unser heutiger Artikel widmet sich dem Schicksal Peterhofs in der Kriegszeit.
Die Park- und Palastanlage von Peterhof ist eine ehemalige Sommerresidenz der russischen Kaiser. Sie liegt etwa 25 Kilometer westlich von Sankt Petersburg direkt am Finnischen Meerbusen. Entworfen wurde Peterhof von Peter dem Großen persönlich, der – inspiriert von den Palästen, die er auf seiner Europareise gesehen hatte – hier eine Residenz errichten wollte, welche die neue Großmacht Russlands demonstrieren sollte. Der Bau begann im Jahr 1714. Schon 1723 wurde Peterhof feierlich eröffnet. Die Anlage umfasst drei Hauptbereiche: den Großen Palast, den Oberen Garten mit einer Wasserkaskade und fünf Fontänen sowie den Unteren Park mit vier Wasserkaskaden und 144 Fontänen. Dank eines ausgeklügelten Systems, das unterirdische Quellen und das natürliche Gefälle des Geländes nutzt, kommen die Wasserspiele ohne eine einzige Pumpe aus.
Nach der Revolution von 1917 wurde Peterhof zu einem Kultur- und Erholungspark für die Bevölkerung. Die sowjetische Regierung sah die Hauptaufgabe der Anlage darin, den Arbeitern massenhaften Zugang zu den kulturellen Errungenschaften ihres Landes zu gewähren und mit ihren nunmehr zu Museen umgewandelten Palästen zu deren politischer Bildung beizutragen. In der Vorkriegszeit gehörte Peterhof zu den beliebtesten Ausflugszielen rund um Leningrad und lockte jährlich 1,5 bis 2 Millionen Besucher an.
Sofort nach Kriegsausbruch begann die Peterhofer Museumsleitung mit den Vorbereitungen zur Evakuierung der Wertgegenstände. Schon am 29. Juni 1941 – nur eine Woche nach Kriegsbeginn – wurden die ersten Exponate per Zug nach Gorki (heute Nischni Nowgorod) gebracht. Von Juli bis September 1941 wurden fast 13 000 Gegenstände evakuiert: nach Gorki, nach Sarapul und nach Leningrad selbst, wo die Exponate in der Isaakskathedrale untergebracht wurden. Aufgrund des Vorrückens der deutschen Truppen wurden die Wertgegenstände, die nach Gorki evakuiert worden waren, später weiter nach Tomsk und schließlich Nowosibirsk transportiert.
Am 23. September 1941 wurde Neu-Peterhof nach harten Kämpfen von Soldaten der Heeresgruppe Nord besetzt. Im Verlauf der Kampfhandlungen brach im Großen Palast ein Feuer aus. Innerhalb von drei Tagen brannte der Palast vollständig nieder. Von Ende September bis Anfang Oktober 1941 versuchte die Rote Armee mehrfach, die deutschen Truppen zurückzuschlagen, musste das Unternehmen jedoch am Ende erfolglos abbrechen. Erst am 19. Januar 1944 konnte Peterhof im Zuge der Operation „Januardonner“, die schließlich auch zur Befreiung Leningrads führte, zurückerobert werden. In den knapp zweieinhalb Jahren der deutschen Besetzung erfolgte eine beispiellose Plünderung und Zerstörung der Anlage.
Schon vor dem Überfall auf die Sowjetunion waren in Deutschland Listen der bedeutendsten Kunstwerke in der UdSSR erstellt worden, die es zu „sichern“ galt. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf Gegenständen „deutscher Herkunft“, die aus der Sowjetunion nach Deutschland abtransportiert werden sollten. Als klar wurde, dass es das Ziel der Heeresgruppe Nord war, Leningrad zu belagern und aushungern, statt es einzunehmen, verlagerte sich das Interesse der Nationalsozialisten von den Museen in der Stadt selbst auf die Schlösser und Paläste in den Vorstädten. Von November 1941 bis Januar 1942 kamen Mitarbeiter des „Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg“ (ERR, der nationalsozialistischen Raubkunstorganisation unter Leitung von Alfred Rosenberg, des Reichsministers für die besetzten Ostgebiete) auf Erkundungsreise nach Peterhof. Unter ihnen war auch der Kunsthistoriker Karl-Heinz Esser. Den Zustand von Schloss Peterhof im November 1941 beschrieb er wie folgt:
Das Hauptschloss ist mit seiner Innenausstattung nach der Einnahme durch Beschuss völlig ausgebrannt. Es stehen nur noch die Mauern ohne Decken und Dächer. Baulich besser erhalten sind die Nebengebäude und Kavalierbauten, deren anscheinend nicht sehr wertvolle Innenausstattung auch nahezu völlig vernichtet ist.
Zitiert nach: „Kunst zu Kanonen. Über die Zerstörung der Schlossanlage Peterhof im Zweiten Weltkrieg“. Artikel auf der Website der Kulturstiftung der Länder.
Im Unterschied zu Frankreich erhielt der ERR in den besetzten Gebieten um Leningrad nur wenige Zugangsmöglichkeiten. Vielmehr übernahm die Wehrmacht die Verantwortung für den „Kunstschutz“ in dieser Region, weshalb es gerade in der Anfangszeit der Besetzung von Peterhof zu unkontrollierten Plünderungen kam: Bilder und Möbel aus den Palästen gelangten in die Offiziersunterkünfte, kleinere Gegenstände wurden von den Soldaten als „Souvenirs“ eingepackt. Auch der Kunsthistoriker Harald Keller, der als Soldat nach Peterhof gekommen war und von seinem Kommandanten die vage Anweisung erhalten hatte, sich um die örtlichen Kunstgegenstände zu kümmern, vermerkte Ende November 1941:
Der Gesamteindruck bleibt bestehen: man hat mich vier Wochen zu spät berufen. Es ist nicht mehr allzuviel zu bergen, vor allem haben Zwischenpersonen, die gar keine Befugnisse haben (z. B. Kriegsberichterstatter), hier ‚gearbeitet‘, zu wessen Gunsten, weiß der Himmel.
Zitiert nach: „Kunst zu Kanonen. Über die Zerstörung der Schlossanlage Peterhof im Zweiten Weltkrieg“. Artikel auf der Website der Kulturstiftung der Länder.
Einige Wertgegenstände waren jedoch noch immer vor Ort, darunter zwei Tritone und die Skulpturen „Wolchow“ und „Newa“ (Allegorien auf die beiden wichtigsten Flüsse in der Region) und das Wahrzeichen Peterhofs – die bronzene Brunnenfigur des Samson, der einem Löwen das Maul aufreißt. Diese hielten die Nationalsozialisten jedoch nicht für wertvoll, da sie von russischen Künstlern stammten. Dagegen interessierten sie sich umso mehr für den sogenannten Neptunbrunnen. Der Brunnen war Ende des 18. Jahrhunderts von der Stadt Nürnberg an den russischen Kaiser Paul I. verkauft worden. Im Juni 1942 wurde er abgebaut und „zurück“ nach Nürnberg transportiert. Dort sollte er später im geplanten Neubau des Germanischen Nationalmuseums ausgestellt werden. Nach Kriegsende wurde er jedoch von amerikanischen Kunstschutzsoldaten ausfindig gemacht und 1947 an die Sowjetunion zurückgegeben.
Das Schicksal der anderen Figuren war lange Zeit unbekannt. Nach Kriegsende kursierten viele Gerüchte um ihren Verbleib. Neue Archivfunde belegen allerdings nahezu zweifelsfrei, dass die Figuren von den Deutschen abtransportiert und eingeschmolzen wurden.
Nach der Befreiung Peterhofs im Januar 1944 fanden die Soldaten der Roten Armee die Stadt in Trümmern vor. Einzig die Peter-Pauls-Kirche war unversehrt geblieben. Die Park- und Palastanlage war von den Deutschen vor ihrem Abzug vermint worden und von Schützengräben und Bunkern durchzogen. P.N. Luknizki, Kriegskorrespondent der TASS, notierte am 22. Januar 1944 in seinem Tagebuch:
Kein Haus ist noch ganz. […] Die Einfriedung des Oberen Parks – nur noch steinerne Pfeiler. Der Große Palast – Ruinen, daneben ein zerstörtes Panzerfahrzeug. Im Oberen Park sind weder der Neptun noch andere Skulpturen zu finden. Das Tor zur Roten Straße ist aufgesprengt und zerstört worden.
Zitiert nach: „Peterhof. Kriegsjahre“. Sankt Petersburg, Staatliches Museum Peterhof: 2020. S. 149.
Nachdem Leningrad von der Blockade befreit worden war, stellte sich die Frage nach der Restaurierung der zerstörten Paläste in den Vorstädten. Eine entscheidende Rolle dabei spielte N.N. Belechow, der erste Leiter der Staatlichen Inspektion zum Schutz der Leningrader Denkmäler. Er initiierte die Durchführung einer öffentlichen Diskussion über das Schicksal der Park- und Palastanlagen. Dabei argumentierte er, dass es möglich sei, das Ensemble von Peterhof zu restaurieren, damit es wieder zu einem Ort der Erholung für die Leningrader Bevölkerung und zu einem Touristenziel für sowjetische und ausländische Bürger werde. Mit Unterstützung seiner Kollegen erreichte er, dass die Restaurierung der Leningrader Vorstadtpaläste auf staatlicher Ebene beschlossen wurde.
Ab Januar 1944 begann die schrittweise Rückholung der nach Leningrad, Gorki bzw. Nowosibirsk und Sarapul evakuierten Exponate. Am 23. April 1944 begannen die ersten Arbeiten zur Erhaltung der noch vorhandenen Bauten in Peterhof. Es galt, eine Bewachung der Palastanlagen zu organisieren, die überall verstreuten Exponate und ihre Fragmente einzusammeln, wissenschaftliche Materialien für die Restaurierung zu sichten und den Park in Ordnung zu bringen. Von Mai bis Juni 1944 wurde Neu-Peterhof entmint: Dabei wurden etwa 50 000 Minen, Granaten und Fliegerbomben aus der Erde geholt und entschärft.
Zu den Arbeiten zur Wiederherrichtung des Parks wurden Anwohner und Angestellte der örtlichen Betriebe herangezogen. Im Sommer und Herbst 1944 wurden die meisten der zu ihrem Schutz im Park vergrabenen Marmor- und Bronzefiguren geborgen. Am 17. Juni 1945 fand die feierliche Wiedereröffnung des Parks statt, wenn auch die Wasserspiele noch nicht in Betrieb waren. Die ersten Fontänen im Unteren Park konnten am 25. August 1946 wieder in Gang gesetzt werden, am 14. September 1947 folgten die Fontänen der zweiten Reihe. Im August 1947 wurde an der Stelle der verloren gegangenen Samsonfigur eine Kopie installiert. Die Restauierungsarbeiten sollten aber noch viele Jahrzehnte dauern und sind teilweise noch immer nicht abgeschlossen: Viele der zerstörten Bauten und Gegenstände mussten in mühevoller Kleinarbeit rekonstruiert werden. Der Gesamtverlust der Exponate wurde im Jahr 1951 auf knapp 17 000 Stück geschätzt. Einige Gegenstände haben sich inzwischen wieder angefunden, andere blieben verschwunden – womöglich befinden sich manche Exponate noch immer in deutschem Privatbesitz.
Dennoch ist die Park- und Palastanlage von Peterhof heute wieder ein absoluter Touristenmagnet, der alljährlich Millionen von Besuchern aus dem In- und Ausland anlockt.
Quellen:
- „Peterhof. Kriegsjahre“. Sankt Petersburg, Staatliches Museum Peterhof: 2020.
- Offizielle Website des Staatlichen Museums Peterhof.
- „Kunst zu Kanonen. Über die Zerstörung der Schlossanlage Peterhof im Zweiten Weltkrieg“. Artikel auf der Website der Kulturstiftung der Länder.