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Die Petersburger Vorstädte während der Blockade, Teil 4. Das Fort Rote Anhöhe

Die Petersburger Vorstädte während der Blockade, Teil 4. Das Fort Rote Anhöhe

Um zu verstehen, wie wichtig das Fort “Rote Anhöhe” während der Blockade war, bietet es sich an, auf eine Karte zu schauen (zum Beispiel unter “Die Leningrader Blockade” auf unserer Website). Dort sehen wir eine Stadt und ihre Vororte, die zwischen zwei großen Gewässern eingeschlossen ist: dem Finnischen Meerbusen und dem Ladogasee. Auf der anderen Seite des Ladogasees liegt das ganze übrige Land, das Hinterland. Über den Finnischen Meerbusen kann der Gegner heransegeln und die Stadt vom Meer aus angreifen. Zum Schutz der Stadt diente in allen Kriegen seit der Stadtgründung 1703 die Festung Kronstadt (seht ihr sie auf der Karte?). Außer der Insel selbst wurden aber auch Schutzmaßnahmen an den beiden Ufern zur Linken und zur Rechten der Stadt getroffen. Wie ihr seht, verläuft unterhalb von Kronstadt ein zweiter “Blockadering”. Er entstand dank des Forts “Rote Anhöhe” und ging als “Brückenkopf von Oranienbaum” in die Geschichte ein.

Aber berichten wir von Anfang an. Nach dem Russisch-Japanischen Krieg1 ergriff das Russische Kaiserreich 1905 verschiedene Maßnahmen zur Umrüstung und zu einer Erneuerung des Systems. Darunter fiel auch die Verstärkung der Verteidigungsanlagen am Ufer. Im Jahr 1907 wurde entschieden, an dieser Stelle mit dem Bau eines Forts zu beginnen. Das Fort hieß “Rote Anhöhe”, wie auch das nächstgelegene Dorf. Es wurde auf dem Gebiet eines Nadelwalds gebaut, der dem Prinzen von Oldenburg gehörte. Für den Bau des Forts und dessen Versorgung mit schwerer Artillerie wurden Eisenbahnschienen dorthin verlegt: die ischorische Militäreisenbahnlinie. Im Jahr 1912, noch während des Baus, wurde das Fort zu Ehren des Sohns von Kaiser Nikolaus II. in “Alexejewskij” umbenannt. Zu Beginn des Krieges 1914 ist das Fort zwar fertig gebaut, aber noch nicht mit modernen Geschützen ausgerüstet – der Krieg erwischt das Fort mitten in der Einrichtung der Batterien. Die Soldaten hatten es deshalb schwer: Das Fort war für seine strenge Disziplin bekannt und viele versuchten, von dort an die Front zu fliehen. An den Handlungen des Ersten Weltkriegs nahm das Fort selbst nicht teil. Tatsächlich bereitete man seine Zerstörung vor, weshalb es im Januar 1918 vermint wurde. Es wurde jedoch nicht gesprengt. Der Sprengstoff zündete infolge eines starken Gewitters ein halbes Jahr später und beschädigte die Hauptgeschütze.

Während des Russischen Bürgerkriegs2, der Revolution und der Niederwerfung zahlreicher Aufstände wechselte das Fort mehrfach den Besitzer – die Situation konnte sich buchstäblich alle drei Tage ändern. Dies war ein sehr wichtiger Punkt und alle anderen Forts hätten die “Rote Anhöhe” um ihre Bewaffnung beneiden können. Zu eben dieser Zeit wurde das Fort in “Rote Flotte” umbenannt. Ab 1922, als der Sturm der Umbrüche sich beruhigte, pflegte die Besatzung des Forts eine für den sowjetischen Menschen vorbildliche Lebensweise: sportliche Wettkämpfe, Unterstützung vonseiten der Produktion, Laientheateraufführungen. Im Jahr 1925 wird das “Rote-Flotte”-Fort der Baltischen Flotte unterstellt und erhält einen neuen Namen: “Rote-Flotte-Fort M.W. Frunse” (zu Ehren von Michail Wassiljewitsch Frunse, einem Heerführer der Roten Armee während des Russischen Bürgerkriegs).

Zur Zeit des Sowjetisch-Finnischen Kriegs3 1939 feuerten die Geschütze des Forts auf die finnischen Stellungen, die am anderen Ufer des Meerbusens gelegen waren. Im Jahr 1941 aber, als die deutschen Truppen auf Leningrad vorrückten, entstand der Brückenkopf von Oranienbaum. Wenn man aufmerksam auf die Karte schaut, sieht man, dass die Frontlinie in 30 Kilometer Entfernung vom Ufer, das heißt, vom Fort, verlief. Dort standen die Hauptgeschütze, deren Reichweite 25 Kilometer betrug. Auf diese Weise verteidigten die Matrosen der Roten Armee dieses kleine Stück Land, während sie vom Festland umzingelt waren und die Fahrrinnen vor feindlichen Schiffen schützen mussten, wobei sie die Schiffe der Baltischen Flotte gegen das Feuer von der finnischen Seite decken mussten.

An dieser Stelle ist es angebracht, über die Bewaffnung des Forts zu berichten: Unerlässlich für das Fort waren die Panzerzüge “Baltijez” und “Für die Heimat”. Der “Baltijez” wurde in den Werkstätten der Roten Anhöhe zusammengestellt und bestand aus einer Dampflok, zwei Güterwaggons für Geschütze und sechs Geschützwaggons, in den acht großkalibrige Geschütze und sechs Maschinengewehre standen. Für den Betrieb der Geschütze und des Zugs waren etwa 150 Personen zuständig. Seine Aufgabe war es, den Vormarsch der Infanterie zu decken und Attacken aus der Luft abzuwehren. Der Panzerzug “Baltijez” verschaffte seinen Truppen viele Siege, weshalb seine Kommandeure und Artilleristen mehr als einmal für ihren Mut und ihre Tapferkeit ausgezeichnet wurden. Im August 1941 lasen die Soldaten des Zugs einen verwundeten Jungen auf, den 10-jährigen Wolodja Gawrilow, der nach seiner Genesung beim Zug blieb und den Soldaten half: Er trug Zeitungen und Briefe aus, rief die Soldaten zur Kommandantur und wurde später als Matrose in den Personalbestand des Panzerzugs aufgenommen.

Neben den beiden Panzerzügen gab es auf der Roten Anhöhe massive, furchterregend anzusehende TM-3-12-Geschütze vom Kaliber 305 mm. Das ist ein Eisenbahngeschütz, dessen Reichweite ebenso 25 bis 30 Kilometer beträgt. In der Sowjetunion wurden mehrere solcher Schützenpanzerwagen herausgebracht, aber nur einer davon blieb unversehrt und verblieb nach dem Winterkrieg auf der Halbinsel Hanko. Dieses Exemplar wurde in das Museum des Forts Rote Anhöhe überführt und wiederaufgebaut. Die Aufseher des Museums bessern jedes Jahr seine Farbe aus, um es in gutem Zustand zu erhalten – die Besucherinnen und Besucher lassen sich nämlich nicht davon abhalten, auf diesem großen Eisending herumzuklettern: insbesondere Kinder, die sich darin messen, “wer größer ist”, während der Museumsleiter stolz über die minimalen Verluste des Forts zu Zeiten der Blockade berichtet.

Es ist richtig, dass die militärischen Verluste des Forts minimal waren. Schwieriger war es, den Hunger zu überleben, den es aufgrund von Problemen bei der Lieferung von Essen und Munition gab. Diese Güter wurden über Wasser aus Kronstadt geholt, was mit enormen Risiken verbunden war. So lebten die Matrosen der Roten Armee während der dreijährigen Blockade, indem sie den Feind von allen Seiten abwehrten und die Kontrolle über die Gewässer am Zugang zu Leningrad bewahrten. Nach dem Durchbruch der Blockade begann am Brückenkopf von Oranienbaum die Zusammenziehung von Truppen zur Durchführung der Operation “Januardonner”. Unter dem Schutz der Artillerie der Roten Anhöhe gelang es der Infanterie, nach Süden vorzustoßen und die Umgebung der deutschen Stellungen in der Stadt Mga zu bedrohen, welche die Verbindungen zwischen Leningrad und dem restlichen Land störten. Der Panzerzug “Baltijez” und viele andere Geschütze verließen das Fort, bewegten sich mit den sowjetischen Truppen weiter und begleiteten sie nach Königsberg.

Heute befindet sich im Fort ein Museum, das von Aktivist/-innen und Geschichtsliebhaber/-innen gegründet wurde. Sie selbst restaurieren die Verliese sowie die gefundendenen Alltagsgegenstände und berichten mit Vergnügen über die Geschichte des Forts. In einem der Säle sind Ziegelsteine ausgestellt, die im Laufe der gesamten 300 Jahre seines Bestehens für den Bau von Sankt Petersburg verwendet wurden. Die Entwicklung des Museums könnt ihr hier verfolgen: https://vk.com/fort_f.


Quellen:

1. Offizielle Vkontakte-Gruppe des Museums “Fort Rote Anhöhe”

2. “Der Panzerzug Baltijez und sein furchterregender Ruhm”. Eine Chronik der Blockade

3. Große Militärenzyklopädie. Eisenbahngeschütze

4. Melnikow, P.I. (1982): Die Bastion Rote Anhöhe. Populärwissenschaftlicher historischer Abriss.

5. Arsenjew, M. (1926): Das Fort Rote Flotte.