Die Petersburger Vorstädte während der Blockade, Teil 3. Kronstadt: Vergangenheit und Gegenwart
Im Finnischen Meerbusen liegt die kleine Insel Kotlin. Ihre Fläche beträgt etwa 16 Quadratkilometer. Im Jahr 1703 begann man im südlichen Teil der Insel mit dem Bau der ersten Befestigungsanlagen: der Festung Kronschlot. Ihre Hauptaufgabe war es, die neue Hauptstadt Sankt Petersburg1 von der Meerseite her zu schützen. Zehn Jahre später wurden auf der Insel die ersten Ankerplätze gebaut und der Handel mit ausländischen Schiffen intensivierte sich. Im Jahr 1719 entstand hier das erste Trockendock Russlands, in dem Schiffe gereinigt und repariert wurden. Bereits im Jahr darauf wurde eine Zollbehörde für den Hafen eingerichtet.
Im Jahr 1723 erhielt die Festung den Namen Kronstadt. Um sie herum begann sich eine Stadt zu entwickeln. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstand hier die erste Wasserleitung Russlands, das erste russische Dampfschiff wurde vom Stapel gelassen und die erste Dampfschiffverbindung zwischen Sankt Petersburg und Kronstadt wurde eröffnet. Etwas später nahm das Werk für die Produktion von dampfbetriebenen Schiffen seine Arbeit auf und das Laboratorium für Meeresastronomie wurde eröffnet. In Kronstadt wurden Kader für die Marine ausgebildet. Bis in die 1890er Jahre befand sich dort einer der wichtigsten Ostseehäfen Russlands. Zu verschiedenen Zeiten wurden rund um die Insel im Finnischen Meerbusen 17 Forts2 angelegt, um die Seewege zur Stadt zu schützen.
Kronstadt ist die militärische Basis der Baltischen Flotte und deshalb eine sehr begehrte Beute. Schon in den ersten Kriegstagen begannen die nationalsozialistischen Truppen mit der Verminung der Fahrrinnen. Etwas später – am 21., 22. und 23. September 1941 – wurde eine Reihe von Angriffen auf die Flottenbasis geflogen. Über 400 Kampfflugzeuge nahmen daran teil, mehr als 300 Bomben wurden auf die Stadt abgeworfen. Dieses Ereignis ging als die Schlacht von Kronstadt in die Geschichte ein. Die Stadt trug schwere Schäden davon, mehrere Schiffe wurden versenkt.
Kronstadt half den Truppen der Leningrader Front und war am Kampf um Leningrad beteiligt. Die Seeleute bildeten Einheiten der Marineinfanterie und wurden an die Fronten verschiedener Städte geschickt. Die Schiffe der Baltischen Flotte nahmen auch an Schlachten teil, unter anderem an Operationen zum Durchbruch und zur Aufhebung der Leningrader Blockade.
Durch Kronstadt verlief die “Kleine Straße des Lebens” (manchmal auch “Eisstraße” genannt). Sie verband Oranienbaum mit dem Dorf Lissij Noss (russ. “Fuchsnase”). Über diese Straße wurden die Einwohner evakuiert, Lebensmittel geliefert und außerdem Truppen verlegt. Im November und Dezember 1943 verlief hier eine wichtige Militäroperation: die Verlegung von Truppen der 2. Stoßarmee. Tausende von Geschützen und Zehntausende Soldaten konnten unbemerkt an den Brückenkopf von Oranienbaum gesandt werden. Dank dieser Operation konnte die Armee des Gegners übervorteilt werden.
Obwohl es in Kronstadt Lebensmittellager gab, war die Situation ebenso schwierig wie in Leningrad. Im Sommer 1941 wurden Lebensmittelmarken eingeführt. Die Brotrationen waren dieselben wie die in Leningrad, allerdings schickten die Kronstädter im Winter 1941, als der Ladogasee noch nicht zugefroren war, mehrere Tonnen Nahrungsmittel nach Leningrad.
Das Oberkommando der Stadt ordnete an, alle freien Flächen zum Anpflanzen von Gemüse zu verwenden. Es wurden spezielle Fischfangbrigaden gegründet. Als mehr oder weniger alle größeren Fische gefangen waren, begann man mit dem Fang von Stichlingen. Davor wurden diese nicht gegessen, da sie nicht als Nutzfische angesehen wurden. In den Hungerjahren der Blockade aber retteten sie viele Menschenleben. Diese Fische sind so klein (max. 4 Zentimeter lang), dass sie durch normale Fischernetze durchschlüpfen. Deshalb wurden sie mit Keschern, Taschen und Hemden gefangen. Im Jahr 2005 wurde in Kronstadt das Denkmal für den “Blockadestichling” enthüllt. Auf der Gedenktafel daneben kann man folgende Zeilen der Kronstädter Dichterin Maria Aminowa lesen:
“Artilleriebeschuss und Bomben sind verstummt,
Bis jetzt aber erklingt das Lob
Für das kleine Blockadefischlein,
Das den Menschen überleben half …”
In Kronstadt wurden viele Denkmäler, Gedenktafeln und Stelen zur Erinnerung an die Kriegszeit eingerichtet. Einige von ihnen gehören zum “Grünen Gürtel des Ruhms”. Dieser etwa 200 Kilometer lange Komplex befindet sich auf dem Gebiet, in dem im Herbst 1941 die Verteidigungslinie Leningrads verlief. Dazu gehören etwa 80 Denkmäler, Gedenkkomplexe und -anlagen. Von den Denkmälern in Kronstadt gehören zwei zum “Grünen Gürtel des Ruhms”. Eines davon ist das Denkmal des “Morsawodjez”3. Es besteht aus einer Granitsäule mit Relief, das eine Arbeiterin, einen Arbeiter, einen Soldaten und einen Matrosen zeigt. Die Schiffswerft wurde mit dem Leninorden4 ausgezeichnet. Das zweite Denkmal ist den U-Boot-Matrosen der Baltischen Flotte während des Großen Vaterländischen Krieges gewidmet. Es stellt den Kommandostand eines U-Boots dar.
Als zentrales Denkmal Kronstadts gilt die Nikolaus-Marine-Kathedrale. Sie ist die Hauptkirche der Marineflotte. Geweiht wurde sie im Jahr 1913, allerdings wurde die Kirche schon 1929 wieder geschlossen. Zu Sowjetzeiten befand sich dort ein Kino. Im Jahr 1939 wurde die Kathedrale an die Baltische Flotte übergeben, das Kino wurde geschlossen. Während des Krieges wurde auf der Kathedrale ein Beobachtungspunkt für die Küsten- und Schiffsartillerie eingerichtet. Das Gebäude galt als zentraler Punkt, weshalb es keinen Auftrag zu seiner Zerstörung gab. Dennoch wurde es von mehreren Geschossen getroffen. Dabei wurde nicht nur die Kuppel, sondern auch die Innendekoration beschädigt.
Im Jahr 2002 bekam die Kathedrale wieder ein Kreuz und es begannen die Arbeiten zu ihrer “Wiedergeburt” und Restaurierung, die bis zum Jahr 2013 dauerten. Jetzt ist sie wieder ein majestätisches Bauwerk, das zu Recht als wichtigste Sehenswürdigkeit der Stadt gilt. An den Wänden der Kathedrale befinden sich Tafeln mit den Namen der Marineoffiziere, die in Erfüllung ihrer Pflicht auf See ihr Leben ließen.
Kronstadt war bis 1996 Sperrgebiet. Heute aber lockt die Stadt Touristen aus Russland und aller Welt an, da sie einzigartige Denkmäler des militärischen Ruhms zeigt.
Quellen:
Offizielle Website der Nikolaus-Marine-Kathedrale: https://kronshtadtsobor.ru/about/
Website des Projekts “Insel der Forts”: https://кронштадт.рф/history/
Artikel zu Kronstadt auf der Website des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation: https://function.mil.ru/rss_feeds/article.htm?id=11130814@cmsArticle
Website von Kronstadt: https://kotlin.ru/
Website des “Virtuellen Museums des Sieges”: http://pobeda.poklonnayagora.ru/
Website des “Museums für die Geschichte von Kronstadt”: http://visitkronshtadt.ru/
[1] Die Stadt Sankt Petersburg wurde im Mai 1703 gegründet. Kronstadt ist nur ein halbes Jahr jünger.
[2] Von Lateinisch “fortis” – stark. Separate Langzeit-Befestigungsanlage, die zu einem System von Festungsanlagen gehört; kleinere Festung. Aus: Uschakow (2012): Bedeutungswörterbuch der russischen Sprache.
[3] So nannte man die Arbeiter der Schiffswerft.
[4] Höchste staatliche Auszeichnung der UdSSR.