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Blockadegeschichte in den Schulmuseen von Petersburg

Blockadegeschichte in den Schulmuseen von Petersburg

Die Tradition der Gründung von “Schulmuseen” entstand in Russland an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Diese Museen hatten und haben eine wichtige Bedeutung für die schulische Ausbildung: Schülerinnen und Schüler nehmen aktiv an der Suche nach Exponaten teil, recherchieren, führen selbst Exkursionen durch und schaffen einen musealen Raum. Eben darin besteht der Hauptunterschied zu den traditionellen Museen.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt können die Einwohner/-innen und Gäste von Sankt Petersburg mehr als 70 Schulmuseen besuchen. Diese haben verschiedene Schwerpunkte: landeskundliche, naturwissenschaftliche oder historische. Fast alle Museen informieren über die Geschichte der jeweiligen Schule und ihre berühmten Absolvent/-innen. In vielen Museen gibt es eine Vitrine oder eine Ecke, die der Leningrader Blockade gewidmet ist.

In diesem Artikel berichten wir über die Schulmuseen, die vor allem dank ihrer Ausstellungen über die Blockadezeit bekannt sind.

Eines der berühmtesten dieser Museen, das Heimatmuseum “Aber die Musen schwiegen nicht …”, befindet sind in der Mittelschule Nr. 235 “Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch”. Der ungewöhnliche Name des Museums entstand auf Vorschlag von Anatolij Korolkjewitsch, einem Künstler vom Theater der Musikkomödie1. Seine Tagebücher und Auszeichnungen werden ebenfalls im Museum aufbewahrt.

Hier erhält man Informationen über Kunst und Kultur zur Zeit der Blockade. Früher beherbergte die Schule das Museum “Alt-Kolomna”2. Auf die Besucherinnen und Besucher warteten Aufsteller mit Fotografien berühmter Personen sowie Schüler, die bereit waren, über Komponisten, Schriftsteller, Künstler, Wissenschaftler, literarische Figuren und bekannte Adressen in der Stadt zu erzählen.

Zum 20. Jahrestag der Befreiung Leningrads von der Blockade wurde entschieden, die Konzeption des Museums ein wenig zu verändern. Dazu trug auch der Umzug in neue Räumlichkeiten bei. In den 1960er Jahren gab es nicht sehr viele Materialien über die Blockade, weshalb eine Gruppe von aktiven Lehrer/-innen, Schüler/-innen und Absolvent/-innen sich auf die Suche nach Materialien für das erneuerte Museum begab. Die ersten Exponate waren die Manuskripte und Dokumente des Komponisten Viktor Tomilin sowie Erde aus dem Newski Pjatatschok3, wo er im Kampf gefallen war. Das Museum besitzt eine einzigartige Sammlung von Dokumenten, die über das Leben der Stadt während der Blockade und einzelne Persönlichkeiten aus dem Kulturbereich berichten (über 2000 Originaldokumente). Außerdem umfasst es Musikinstrumente, Plakate, Skizzen, Bilder, Memoiren, Bücher und vieles mehr. Einen besonderen Platz haben der Schreibtisch und einige persönliche Gegenstände von Olga Bergholz sowie eine Schreibmaschine und ein Band des “Blockadebuchs”, die der Autor Daniil Granin4 gestiftet hat.

Die nächste Schule, über die wir berichten, haben wir bereits in einem früheren Artikel über Olga Bergholz erwähnt. Es ist die Schule Nr. 340 im Sankt Petersburger Newski-Bezirk. Dort wurde im Januar 2013 das Museum “Quellen des Lebens –  Newskaja Sastawa” gegründet, das Olga Fjodorowna Bergholz gewidmet ist. Das Viertel Newskaja Sastawa ist untrennbar mit dem Namen der Dichterin verbunden, befand sich doch hier das Haus, in dem sie geboren wurde und ihre Kindheit verbrachte. Leider ist das Haus nicht erhalten geblieben, dort befindet sich jetzt aber ein Denkmal. Im Museum wurden ein Blockadezimmer sowie das Arbeitszimmer von Olga Fjodorowna rekonstruiert. Zudem gibt es einen Saal, in dem man sich über die Biografie der Dichterin informieren kann.

An der Schule Nr. 238 im Admiraltejski-Bezirk existiert seit 1976 das Museum “Helden des Brückenkopfs von Oranienbaum”. Der Eröffnung des Museums ging eine umfangreiche Suchaktion voran: Schülerinnen und Schüler sprachen mit Veteranen, hielten Erinnerungen schriftlich fest und besuchten Schauplätze von Schlachten. Diese Tradition hat sich bis heute erhalten. Der Brückenkopf von Oranienbaum hatte eine entscheidende Bedeutung in der Geschichte der Blockade: Auf diesem Territorium begann die Operation zur Befreiung von Leningrad. Das Museum zählt über 1000 Exponate: Fotografien, Dokumente aus der Kriegszeit, Erinnerungen von Veteranen sowie ein Modell und einen Plan des Brückenkopfs von Oranienbaum. Die Schülerinnen und Schüler werden in die Arbeit des Museums einbezogen: Sie führen Exkursionen durch, bereiten Ausstellungen vor und stellen Sammelbände mit Gedichten zusammen.

Eine besondere Rolle spielt das Thema “Kindheit in der belagerten Stadt”. In der Schule Nr. 76 im Wyborgski-Bezirk eröffnete im Jahr 2015 ein Museum mit dem sprechenden Namen “Die vom Krieg verbrannte Kindheit”. Die Gründer/-innen haben versucht, es interaktiv zu gestalten, damit die Gäste (hauptsächlich Schülerinnen und Schüler) nicht nur erfahren, welche Schicksale ihre Altersgenossen in der Kriegszeit erlitten haben, sondern auch verstehen, was ihnen Kraft gab. Momentan umfasst das Museum vier Ausstellungen. Die jungen Besucher/-innen können Spielzeuge und typische Gegenstände aus der Kriegs- und Vorkriegszeit sehen, in eine Schulmappe aus der damaligen Zeit hineinschauen und sogar versuchen, ihren Namen mit einem Federhalter zu schreiben.

In der Pädagogischen Fachschule Nr. 8 existiert schon seit über 45 Jahren das Museum “Kinder und Vorschulpädagogen im belagerten Leningrad”, das von den Anstrengungen der Lehrer/-innen und Erzieher/-innen berichtet. Es zeigt das Modell eines Blockadekindergartens sowie ein Wohnzimmer mit typischen Gegenständen der Kriegszeit. Unter den Exponaten befinden sich viele Fotografien, Dokumente und Erinnerungen von Vorschulpädagogen und Lehrern.

Im Museum wird auch eine Fotografie der Kindergärtnerin Valentina Koslowskaja aufbewahrt, die während der gesamten Blockade mit Kindern arbeitete. Außerdem befinden sich dort Spielsachen, die sie für die Kleinen nähte. Die Kinder bewahrten die aus Lumpen genähte Katze, die Puppe und die Papierfiguren aus dem Märchen “Buratino” die ganze Blockade über sorgfältig auf. Die Besucher/-innen können daneben auch Fotografien und persönliche Gegenstände des Dompteurs Iwan Iwanowitsch Narkewitsch sehen, der zusammen mit seinen fünf Hunden auftrat. Aufgrund einer körperlichen Behinderung wurde er nicht an die Front berufen, aber dafür schenkte er den kleinen Leningradern jeden Tag seine Auftritte – in Kindergärten, Waisenhäusern, Schulen und Hospitälern.

Die folgenden Links führen zu den Seiten der Museen sowie zu Fotografien einiger Ausstellungen:

“Aber die Musen schwiegen nicht” http://spbmbmus.ru/

Ausstellung des Museums “Quellen des Lebens – Newskaja Sastawa” http://school340.ru/shkolnyj-muzej/ekspozitsii.html

“Helden des Brückenkopfs von Oranienbaum” http://school238.ru/muzei.html

“Die vom Krieg verbrannte Kindheit” http://076.shko.la/skolnyj-muzej

“Kinder und Vorschulpädagogen im belagerten Leningrad” http://www.pedagog8.ru/college/museum


[1] Das Theater der Musikkomödie war das einzige Theater, das während der gesamten Blockadezeit geöffnet war.

[2] Historischer Bezirk von Sankt Petersburg, in dem sich das erste Gebäude der Schule befand.

[3] Der Newski Pjatatschok war ein Brückenkopf am linken Ufer der Newa, der von den Truppen der Leningrader Front im Laufe der Schlacht um Leningrad gehalten wurde. Dies war einer der gefährlichsten Kriegsschauplätze. 

[4] Daniil Granin (1919-2017) war ein sowjetischer und russischer Schriftsteller. Er kämpfte an der Baltischen und der Leningrader Front, sowohl als Infanterist als auch als bei den Panzertruppen. Sein “Blockadebuch” ist eines der bekanntesten Bücher über die Leningrader Blockade.