Anna Moisches und das Internat für die Kinder von Leningrader Journalisten
Im Winter 2021 entstand die Ausstellung „Keine Todesfälle vom Tag der Evakuierung bis heute“. Dies sind die ersten Worte eines Vortrags über das Leben eines Internats für Kinder von Leningrader Journalisten.
In unserem heutigen Artikel berichten wir über Anna Lasarewna Moisches: eine bekannte Journalistin aus Leningrad, auf deren Memoiren die Ausstellung basiert.
Die Familie von Anna Lasarewna stammte aus der Ortschaft Ilino im Gouvernement Witebsk. Ihre Eltern – Tatjana und Lasar Moisches – waren in den 1910er Jahren in das Gouvernement Orjol gezogen und von dort schließlich nach Petrograd. In der Stadt betrieb die Familie privaten Handel: Der Vater buk Brot, die Mutter eröffnete eine Kantine. Im Jahr 1931 begann Lasar Moisches in der Schreibwarenfabrik „Swetotsch“ zu arbeiten, während Tatjana Naumowna eine Anstellung in einer Apotheke fand. Wir kennen die Adresse der Familie in Petrograd: Ligowski Prospekt 57, nicht weit vom Moskauer Bahnhof.
Lasar Grigorjewitsch und Tatjana Naumowna hatten drei Töchter und einen Sohn: Berta, Anna, Raissa und Juri.
Anna begeisterte sich bereits in ihrer Schulzeit für den Journalismus und war schon damals Kinderkorrespondentin der ersten Unionszeitung für Kinder und Jugendliche, die den Namen „Leninskije iskry“ („Leninsche Funken“) trug. In der Redaktion dieser Zeitung arbeitete Anna ihr ganzes Leben lang.
Anfang der 1930er Jahre heiratete Anna Ilja Kusmitsch Ilin. Im Jahr 1934 wurde ihr Sohn Wladimir geboren.
Als der Krieg begann, wurden nur zwei Männer der Familie nicht mobilisiert. Annas Bruder Juri Lasarewitsch arbeitete als Ingenieur in einer Rüstungsfabrik und wurde zusammen mit dem Betrieb evakuiert. Der Vater Lasar wurde aus Altersgründen nicht in die Armee einberufen.
Annas Ehemann Ilja Kusmitsch Ilin ging an die Front. Er diente bei den Luftstreitkräften und wurde 1944 aus der Armee entlassen, starb jedoch 1945 an den Folgen seiner Verwundungen.
Die in der Stadt zurückgebliebenen Frauen wurden zum Bau von Befestigungsanlagen um Leningrad herangezogen. An den Vorbereitungen zur Verteidigung der Stadt waren alle erwachsenen Mitglieder der Familie beteiligt, bis ein Teil von ihnen evakuiert wurde.
Im Sommer 1941 begann die Evakuierung der Leningrader Kinder, und zwar zunächst in die Oblaste Leningrad und Jaroslawl. Die Kinder wurden in Begleitung von Erzieherinnen und Lehrerinnen losgeschickt. Auch Annas Sohn musste die Stadt verlassen. Am 4. Juli 1941 wurde das Internat Nr. 18 für Kinder von Leningrader Journalisten nach Rostow in der Oblast Jaroslawl evakuiert.
Anschließend jedoch riss die Verbindung zum Internat ab. Anna begab sich auf Dienstreise, um herauszufinden, wie die Kinder an ihren Bestimmungsort gelangt waren. Im August erreichte Anna das Dorf Bolschoje Chwastowo in der Oblast Jaroslawl, wo sich die Kinder zu diesem Zeitpunkt befanden.
Die Bedingungen waren nicht leicht, denn im Dorf fehlte es an Arbeitskräften. Da Annas Dienstreise sich dem Ende näherte, schickte sie ein Telegramm nach Leningrad, um zu erfragen, ob ihre Rückkehr vonnöten sei. Aus dem Antwortschreiben erfuhr sie, dass die Zeitung „Leninskije iskry“ ihre Arbeit vorläufig eingestellt hatte. So blieb Anna im Internat, das später in das Dorf Tichonowo in Tatarstan verlegt wurde.
Das Leben im Internat war nach dem Vorbild einer Arbeitskommune organisiert, in der die Kinder genau so arbeiteten wie die Erwachsenen: Sie heizten die Öfen, hatten Küchendienst, halfen in der Kolchose usw. Die Kinder arbeiteten für ihre Ernährung und um ihre täglichen Bedürfnisse zu stillen sowie der Front zu helfen.
Für viele Kinder wurde das Internat zu einer zweiten Familie. Anna Moisches und die anderen Erwachsenen bemühten sich, den Kindern die neuen Werte eines Arbeitskollektivs näherzubringen und in ihnen das Verantwortungsbewusstsein für sich selbst wie auch für ihre Kameraden zu wecken – und nicht zuletzt den Stolz auf ihre Arbeit.
Im Jahr 1945 begann die Rückkehr nach Leningrad. Viele Jahre später veranstalteten die ehemaligen Internatszöglinge abendliche Treffen, zu denen sie stets Anna Lasarewna einluden.
Auf unserer Website findet ihr ausführliche Informationen zur Ausstellung: Infotafeln, Broschüren wie auch ein Audioguide mit Aufzeichnungen von Anna Moisches.