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Die Sinfonie einer lebendigen Stadt

Die Sinfonie einer lebendigen Stadt

Den Beginn des Krieges erlebte Dmitri Schostakowitsch in Leningrad. Er war ein aktives Mitglied des Komponistenverbands der UdSSR, der sich unter anderem mit der Zusammenstellung von antifaschistischen Liedern beschäftigte. Schostakowitsch beteiligte sich zudem am Bau von Verteidigungsanlagen und war in der Bereitschaft der Freiwilligen Feuerwehr. Damit konnte er auch die Arbeit im Redaktionskollegium der Leningrader Abteilung des Staatlichen Musikverlags vereinbaren.

Schostakowitsch hatte es immer außergewöhnlich gut und genau verstanden, den Geist der Zeit zu erspüren und in der Sprache der Musik das auszudrücken, was um ihn herum geschah. Die Siebte (Leningrader) Sinfonie ist ein Symbol für den Mut und die Unbeugsamkeit der Seele. Ihr erster Teil wurde am 3. September 19411 vollendet, den dritten Teil beendete Schostakowitsch am 29. September. Das Finale schrieb er während seiner Evakuierungszeit in der Stadt Kuibyschew (heute Samara), wo am 5. März 1942 die Premiere stattfand. Zu diesem Zeitpunkt befand sich hier das Orchester des Bolschoi-Theaters (russ. “Großes Theater”), das ebenfalls evakuiert worden war.

Ende März wurde die Sinfonie in Moskau aufgeführt. Im Juni und Juli hörte man sie in London sowie in New York. Danach spielte man sie noch in Nowosibirsk (wohin man das Orchester der Leningrader Philharmonie evakuiert hatte), in Taschkent und in Jerewan. Schostakowitsch jedoch träumte davon, dass man sie in der Stadt aufführen würde, der sie gewidmet war: in Leningrad.

Alexei Tolstoi2 veröffentlichte in der Zeitung “Prawda” einen Artikel mit dem Titel: “Bei der Probe von Schostakowitschs Siebter Sinfonie”. Er war bei dieser Probe in Kuibyschew zugegen und schrieb über die Sinfonie folgendes:

“Die Siebte Sinfonie entstand aus dem Gewissen des russischen Volkes, welches den tödlichen Kampf mit den schwarzen Kräften ohne Zögern angenommen hat. Geschrieben in Leningrad erreichte sie die Ausmaße der großen Weltkunst, die an allen Längen- und Breitengraden verstanden wird. Denn sie erzählt die Wahrheit über den Menschen in einer noch nie dagewesenen schweren Zeit der Not und der Prüfungen. Die Sinfonie ist klar in ihrer gewaltigen Schwierigkeit, sie ist zugleich streng und auf männliche Weise lyrisch, in Gänze fliegt sie in die Zukunft. […] Die Geigen erzählen von einer kurzen, ruhigen und glücklichen Zeit – darin verbirgt sich das Unglück, das noch blind und begrenzt ist, wie bei dem Vögelchen, das “lustig über den Pfad der Not” läuft. Aus diesem Wohlstand entsteht aus der dunklen Tiefe der unaufgelösten Widersprüche das Thema des Krieges: kurz, trocken, präzise, ähnlich einem stählernen Haken. […] Über die Schönheit der Welt ergießt sich Blut. Schönheit – das ist nicht Freude, Erquickung oder festliche Kleidung. Schönheit – das ist die Neugestaltung und Strukturierung der wilden Natur durch die Hände und das Genie des Menschen. Die Sinfonie rührt gleichermaßen mit leichtem Hauch an das große Erbe des menschlichen Weges und es erwacht zu neuem Leben. Der mittlere Teil der Sinfonie ist eine Renaissance, eine Wiedergeburt der Schönheit aus Staub und Asche. Es ist, also ob vor den Augen eines neuen Dante mit der Kraft eines strengen und lyrischen Sinnens die Schatten der großen Kunst, des großen Guten hervorgerufen werden. […] Mit wachsender Spannung erwartet man das Finale, die Vollendung eines gewaltigen musikalischen Erlebnisses. Man wird von den Geigen aufgefangen, kann nicht atmen, als ob man auf dem Gipfel eines Berges stünde, und gemeinsam mit dem harmonischen Sturm des Orchesters, mit unvorstellbarer Spannung strebt man auf den Durchbruch zu, auf die Zukunft, zu den hellblauen Städten der höheren Struktur.”3

Die Premiere in Leningrad war für den 9. August 1942 anberaumt. Diese Datum wurde nicht zufällig ausgewählt. Für diesen Tag planten die nationalsozialistischen Truppen die vollständige Einnahme der Stadt.

Da es nicht genug Musiker in der Leningrader Philharmonie gab, schickten Militärorchester die ihren speziell für die Aufführung dieses Werks nach Leningrad. Es dirigierte Karl Iljitsch Eliasberg. Am Tag der Premiere war der Saal der Philharmonie voll. Das Licht brannte und man übertrug die Sinfonie im Radio und über Lautsprecher – die ganze Stadt hörte zu. Die Artillerie des Wehrbezirks Leningrad konzentrierte all ihre Kräfte auf den Schutz der Stadt, damit diese wichtige Premiere durch nichts gestört wurde. Im globalen Kontext war dies ein wahrhaft großartiges Ereignis und ein Beweis dessen, dass die Stadt am Leben ist und nicht an Aufgabe denkt.

Für diese Sinfonie wurde Schostakowitsch der Titel eines verdienten Künstlers der RSFSR verliehen.

Das Museum “Aber die Musen schwiegen …”, über das wir bereits berichtet haben, beherbergt einen ganzen Saal, der Schostakowitsch gewidmet ist. Zu sehen sind dort seine Noten, Briefe, Fotografien, persönliche Gegenstände sowie sein Flügel. Außerdem kann man dort den Dirigentenstab von Karl Eliasberg betrachten.


Quellen:

N.W. Lukjanowa (1980): Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch. Moskau: Musyka.

Artikel über die “Leningrader Sinfonie” auf der Website des Felizyn-Museums.

Artikel über die “Siebte Sinfonie” auf der Website zu klassischer Musik, Oper und Ballett.

Mitteilung auf der Website der Sankt Petersburger Philharmonie.


[1] Am 8. September 1941 begann die Leningrader Blockade.

[2] Alexei Tolstoi (1883-1945), russischer und sowjetischer Schriftsteller und Persönlichkeit des öffentlichen Lebens.

[3] Alexei Tolstoi: “Bei der Probe von Schostakowitschs Siebter Sinfonie”. Prawda, Ausgabe Nr. 47 vom 16. Februar 1942.