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Die Petersburger Vorstädte während der Blockade, Teil 1. Das Geheimnis des Bernsteinzimmers

Die Petersburger Vorstädte während der Blockade, Teil 1. Das Geheimnis des Bernsteinzimmers

Bernstein ist an sich ein sehr weiches und geschmeidiges Material, weshalb es meistens für kleine Souvenirs und Schmuckstücke genutzt wird. Die Idee, sechs Tonnen Bernstein zu verwenden, um ein Zimmer mit einer Fläche von 100 qm zu erschaffen, erscheint seltsam und unbegreiflich.

Den Einfall zu einem Zimmer aus Bernstein hatte der preußische König Friedrich I. Die Arbeiten daran waren jedoch bis zu seinem Tode noch nicht abgeschlossen, auch wenn die Gerüchte über das Zimmer schon bis nach Petersburg gedrungen waren. Als der russische Zar Peter I. gegenüber Friedrich Wilhelm, dem Sohn Friedrichs I., Anspielungen auf die Pracht der Wandvertäfelungen aus Bernstein machte, erhielt er diese von ihm zum Geschenk. Nachdem er dieses Wunder in Empfang genommen hatte, das geradezu prädestiniert für die Kunstkammer1 schien, war Peter dennoch unzufrieden, sodass das auseinandergenommene Bernsteinzimmer eingelagert wurde. Später erinnerte sich Jelisaweta Petrowna2 daran und so wurde es 1755 unter der feinfühligen Leitung von Bartolomeo Rastrelli3 in Zarskoje Selo4 aufgebaut. Zu der Einrichtung wurden noch florentinische Mosaike hinzugefügt, die in allegorischer Form die fünf Sinne darstellen: das Sehen, das Hören, das Riechen, das Fühlen und das Schmecken.

Im Zuge der Leningrader Blockade wurde der Katharinenpalast5 in Zarskoje Selo im September 1941 von deutschen Truppen besetzt. Den Leningradern gelang es, einen Teil der Museumsschätze zu evakuieren, das Bernsteinzimmer konnten sie jedoch nicht mitnehmen: Die Paneele aus Bernstein waren sehr zerbrechlich und wären beim Transport auseinandergefallen. Das Zimmer wurde daher mit Mull, Watte und Papier abgeklebt. Abgebaut und ordentlich in Kisten verstaut wurden die unermesslich kostbaren Vertäfelungen dann schon von deutschen Soldaten.

Es wird behauptet, dass eines der fünf florentinischen Mosaike von einem Offizier gestohlen wurde, der mit dem Verpacken der Paneele beschäftigt war. Das Mosaik tauchte 1997 bei einer europäischen Auktion auf, wurde identifiziert, aufgekauft und feierlich zurück in den Katharinenpalast gebracht. Zum jetzigen Zeitpunkt ist dies der einzige Teil des Zimmers, der gefunden und zurückgegeben werden konnte.

Das Bernsteinzimmer wurde nach Königsberg (das heutige Kaliningrad) gebracht und im dortigen Königsschloss wieder aufgebaut. Hierbei ist es wichtig, die genauen Maße zu betrachten: Anhand von Fotografien lässt sich bestimmen, dass das Bernsteinzimmer in Königsberg um ein Drittel niedriger und kleiner war als das im Katharinenpalast. Das bedeutet, an dieser Stelle gehen die Wege der Kisten mit ihrer wertvollen Fracht auseinander. Verantwortlich für die Bewahrung der Kunstschätze in Königsberg war Doktor Alfred Rohde, Kunsthistoriker und Spezialist für den Umgang mit Bernstein. Um die Evakuierung der Wertgegenstände kümmerte sich Erich Koch, zufälligerweise auch ein Spezialist für Bernstein. In Königsberg durchliefen die Bernsteinvertäfelungen viele verschiedene Stadien: ruhige Museumszeiten, Bombardierungen sowie einen mehrtägigen Brand, bei dem sechs Paneele schmolzen. Bei der Einnahme Königsbergs durch die sowjetischen Truppen wurde das Bernsteinzimmer nicht aufgefunden. Hier endet seine “offizielle” Geschichte und es beginnen Geheimnisse, Legenden, Vermutungen, Annahmen und journalistische Recherchen.

So etwa könnte sich das Bernsteinzimmer bis heute in den Katakomben von Kaliningrad verstecken: Dort befinden sich viele verborgene Gänge sowie ein Seensystem, das sich unerwarteterweise im Jahr 1944 zeigte. Es gibt künstliche Wasserspeicher, in denen man das Wasser schnell heraus- und wieder hereinlassen kann. Wenn man weiß, wie.

Außerdem existiert die Version, dass das Bernsteinzimmer durch eine Sondereinheit aus Königsberg herausgebracht und irgendwo in Sachsen vergraben wurde. Die Spuren des Zimmers suchte man auch in Dänemark, Österreich, Polen, Amerika und sogar in Sibirien.

In der Sowjetunion wurden später zwei Kommissionen gegründet, die das Verschwinden des Bernsteinzimmers aufklären sollten. Die erste Kommission (zu der übrigens auch Alfred Rhode gehörte) konstatierte, dass das Bernsteinzimmer während des Brands vom 9. bis 11. April 1945 in Königsberg zerstört worden war. Die zweite Kommission, die einige Jahre später einberufen wurde, kassierte das Urteil der ersten Kommission, ohne jedoch zu eigenen Ergebnissen zu kommen. Alfred Rhode und Erich Koch hatten Zeugenaussagen geliefert, diese widerrufen, und darauf verwiesen, dass sie sich an nichts erinnerten. Sie hatten geschwiegen, sich zur Geheimhaltung verpflichtet und vieles mehr. Zudem gestaltete es sich schwierig, Koch aus einem polnischen Gefängnis herauszuholen. Rhode seinerseits verlegte sich darauf, dass er infolge einer Gehirnerschütterung sein Gedächtnis verloren habe.

Ebenso existiert die Version, dass beide (oder einer von ihnen) in den Jahren 1943/44 eine große Zahl von Handwerksmeistern zusammengerufen hätten, um das Bernsteinzimmer nachzubilden und die Fälschung anschließend nach Deutschland zu schicken, das Original aber selbst zu behalten, was die Untersuchungen erschwert hätte. Die Suche nach dem Bernsteinzimmer war aus einem einfachen Grund ohnehin schon schwierig genug: Alle Dokumente waren vernichtet worden.

Viele Menschen versuchten, Spuren des Bernsteinzimmers zu finden. Georg Stein durchforstete zwölf Jahre lang die Archive und wurde brutal ermordet – direkt vor einer Pressekonferenz, auf der er von den Ergebnissen seiner Recherchen berichten wollte. Unterschiedlichen Quellen zufolge wurden zwischen 17 und 35 Menschen auf geheimnisvolle Weise ermordet, die der Lösung des Rätsels nahe gekommen waren. Es ist daher nicht empfehlenswert, nach dem Original zu suchen – vielmehr sollte man sich am Anblick des rekonstruierten Zimmers im Katharinenpalast weiden.

Die Bernstein-Werkstatt in Zarskoje Selo rekonstruierte die frühere Einrichtung des Zimmers, indem sie sich auf Schwarz-Weiß-Fotografien, erhaltene Fragmente des Dekors und Aquarellbilder stützte. Den Handwerksmeistern gelang es durch Einsatz von verschiedenen Technologien, die seit dem 18. Jahrhundert bekannt sind, aus Sonnenstein ein Zimmer zu rekonstruieren, das man auch heutzutage besuchen kann.

Dem Bernsteinzimmer könnte ein besonderer Platz in den Beziehungen zwischen Russland und Deutschland eingeräumt werden. In Berlin geschaffen, in Petersburg zu Berühmtheit gelangt und in Königsberg/Kaliningrad verschwunden – es scheint, als ob das Bernsteinzimmer schon immer zwei Ländern gleichzeitig gehört hätte, dabei aber in keinem davon ganz verblieben wäre.

Quellen:
http://www.amberroom.ru

http://lostart.ru/ru/studys/?ELEMENT_ID=2062

https://life.ru/p/1055531

https://www.spb-guide.ru/page_19481.htm

https://www.ambermuseum.ru/

[1] Die Kunstkammer war das erste Museum in Russland und wurde von Peter I. gegründet. Er sammelte dort seltene Exponate und Kuriositäten.

[2] Jelisaweta Petrowna (1709-1761) war die jüngere Tochter von Peter I. Von 1741 bis 1761 war sie Kaiserin von Russland.

[3] Bartolomeo Rastrelli (1700-1771) war ein russischer Architekt italienischer Herkunft, der hauptsächlich in Petersburg arbeitete.

[4] Zarskoje Selo (russ. “Zarendorf”), heute Puschkin. Vorstadt von Sankt Petersburg und ehemalige Kaiserresidenz.

[5] Der Katharinenpalast ist der ehemalige Kaiserpalast in Zarskoje Selo. Heute kann er von Touristen besucht werden.