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Neues vom Freiwilligenprogramm: ein prallgefüllter April

Neues vom Freiwilligenprogramm: ein prallgefüllter April

Wofür liebt ihr den April?

Wir lieben ihn für die ersten warmen Sonnenstrahlen nach dem Winter, den entfernten Geruch des Sommers in den Straßen und das unbeschreibliche Gefühl dessen, dass sich die Natur plötzlich belebt. Es kommt der Wunsch auf, zu Hause und auf der Arbeit Ordnung zu schaffen, sich an seinen freien Tagen kreativ auszuleben, frei zu atmen und Alltagsaufgaben mit besonderer Inspiration zu erledigen.

Auch in unserem Freiwilligenprogramm hat der Frühling wahrhaft Einzug gehalten. Einen ganzen Monat lang haben die Teilnehmer/-innen sich an das Online-Format gewöhnt, einander kennengelernt und begonnen, sich mit der Geschichte der Blockade sowie den kulturellen Unterschieden und Gemeinsamkeiten auseinanderzusetzen. Jetzt ist die Zeit gekommen, den bereits zurückgelegten Weg zu analysieren und in die schon bekannten Themen einzutauchen, allerdings auf einem neuen Level. Zeit für Kreativität, Gespräche, die Suche nach ungewöhnlichen Blickwinkeln und Möglichkeiten der Arbeit mit Erinnerung sowie Geschichte.

Das erste Treffen im neuen Monat – und wir starten direkt mit einer komplett neuen Lernform und einer Ladung Inspiration. “Werkstätten” bzw. eine Serie von Workshops zu verschiedenen Formaten der Arbeit mit den Erinnerungen der Zeitzeugen: Das ist nicht nur für die heutigen Freiwilligen, sondern für das Programm im Ganzen etwas Neues.

Workshops mit Spezialist/-innen für verschiedene Formate der Arbeit mit Erinnerungen.

Wir haben drei Spezialist/-innen aus unterschiedlichen Bereichen eingeladen, damit sie die Freiwilligen nicht nur in ihr “Handwerk” einweihen, sondern sie auch dazu inspirieren, bekannte Themen mit anderen Augen zu sehen.

  • Patrick Vosen berichtete von seinen Erfahrungen beim Erstellen von Online-Spielen und -rallyes ohne Programmierfähigkeiten. Dabei schauten wir auf Geschichten aus der Vergangenheit wie auf eine mögliche inhaltliche Grundlage für Detektiv-Lernspiele.
  • Claudia Ehrhardt, Medienpädagogin bei Radio Enno in Nordhausen, eröffnete den Freiwilligen die Welt der Podcasts und erzählte von allen Feinheiten der Arbeit mit Stimme und Ton. Erinnerungen werden greifbarer, wenn wir die Stimme eines Erzählers hören, Musik oder Straßengeräusche aus jener Zeit, kurz, wenn wir einen lebendigen Dialog führen.
  • Karolina Spring, Spezialistin im Bereich Scribing, berichtete von einer einzigartigen Methode, die es ermöglicht, durch Texte und Zeichnungen komplizierte Ideen und Prozesse für alle verständlich zu machen. Über die Vergangenheit kann und muss spannend, metaphorisch und unkonventionell erzählt werden.

Dieser Tag gab uns einen Schub nach vorn und Materialien, um Ideen für unsere zukünftigen Projekte auszuarbeiten. Auf unserer Pinnwand erschienen die ersten Sticker mit Ideen für die kreative Arbeit mit Erinnerungen – wir waren bereit, weiterzugehen.

Der nächste Schritt bestand darin, zu verstehen, worin diese Erinnerungen bestehen: Entsprechen sie immer der Wahrheit? Was ist eigentlich “Oral History”? Und wer sind sie – die Überlebenden der Blockade? Wie sich herausstellte, ist es gar nicht so leicht, Zeitzeugengespräche zu führen – und wir hatten Millionen Fragen und Ängste.

Das i-Tüpfelchen des Monats waren unsere inspirierenden Gäste mit ihrer großen Erfahrung und klugen Ratschlägen. Wenn wir sie und ihren einzigartigen Wissensschatz nicht gehabt hätten, hätten wir wohl niemals erfahren, wie viele Methoden es gibt, um beim Gespräch mit Blokadniki nicht in peinliche Situationen zu geraten. Wir hätten nicht gewusst, welche Themen tabu sind und was man tun sollte, wenn einem die Tränen kommen. Eingeladen haben wir Tanja Lwowa, die stellvertretende Leiterin der jüdischen Wohltätigkeitsorganisation “Eva”, und den Journalisten und Regisseur Alexej Oliferuk – den Menschen, der für das Projekt “Blockade. Stimmen” über 300 Interviews mit Blockadeüberlebenden geführt hat.

Das Treffen war voller neuer Entdeckungen und gab uns die Gewissheit, dass Gespräche mit Blockadeüberlebenden wichtig und notwendig sind – und dass man keine Angst vor ihnen haben muss, wenn man sie richtig angeht und sich gut vorbereitet.

Diesmal sind wir über die Rahmen der Petersburger Blockadevereine, mit denen wir normalerweise zusammenarbeiten, hinausgegangen und haben drei neue Gäste mit einzigartigen Schicksalen eingeladen:

  • Leonid Iljitsch Beresin, Vorsitzender des Berliner Blockadevereins “Lebendige Erinnerung”,
  • Asja Abramowna Kupermann, Mitglied des Vereins,
  • Dr. rer. nat. Galina Fjodorowna Anastasenko, Kuratorin des Museums für Mineralogie an der SPBGU.

Gespräche in Kleingruppen mit den Blockadeüberlebenden.

Sechs Treffen, darunter wärmste Gespräche über Gott und die Welt sowie zwei ausführliche Interviews über das Leben im belagerten Leningrad und die Evakuierung – für die Teilnehmenden war dies eine unvergessliche Erfahrung.

Wir haben die Freiwilligen gefragt, was ihnen die Gespräche gegeben haben:

Durch die Begegnung mit den Zeitzeugen ist der Zweite Weltkrieg bzw. die Leningrader Blockade weniger abstrakt und viel persönlicher geworden. Ich habe im Laufe des Projektes gemerkt wie wichtig Oral History ist, da ansonsten so vieles, was Geschichte ist, gar nicht erfasst werden würde und eben auch für die nachfolgenden Generationen “weiter weg” wäre, man sich dadurch viel stärker verbunden und auch verantwortlicher fühlt.

Ich habe von unseren Zeitzeugen viele neue Details über die Blockade erfahren. Es freut mich sehr, dass man sich so locker miteinander unterhalten konnte, dass sie das “rein Menschliche” in unserer Seele berührten. Nach solch offenen historischen Gesprächen versteht man gut, was die Geschichte uns lehrt und welche Rolle die Erinnerungskultur für die Generationen spielt.

Мir haben die Gespräche mit den Zeitzeugen noch einmal klarer gemacht, dass die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs auch heute noch stark im Bewusstsein der Menschen sind und ihre Handlungen beeinflussen und es wichtig ist, dass ihre Geschichten gehört werden.

Als wir mit den Zeitzeugen gesprochen haben, habe ich mich an die Worte des Journalisten erinnert, den wir eingeladen hatten: “Gespräche mit älteren Leuten sind gesund.” Jetzt verstehe ich, was er meinte. Diese Gespräche haben mir geholfen, nicht nur über den Krieg, sondern auch über das Leben vieles zu verstehen.

Ich bin mir durch die Gespräche bewusst geworden, dass Menschen unglaublich schlimme Erfahrungen durchmachen können und sich trotzdem nicht dadurch definieren müssen. Leonid Iljitsch hat mir wirklich vor Augen geführt, dass man solche schlimmen Erfahrungen überwinden kann und trotzdem ein langes und glückliches Leben führen kann. Seine positive Einstellung und Energie war wirklich inspirierend und die Weise, in der er über seine Erfahrungen gesprochen hat, war zwar ernst, aber es waren trotzdem sehr schöne Gespräche.

Die Eindrücke von den Treffen mit unseren Gästen und natürlich auch die gut gehüteten Materialien von den Interviews mit den Blockadeüberlebenden bilden die Grundlage für unsere kreativen Projekte, an denen wir im Mai arbeiten werden.

Zunächst aber finden die ersten Präsenztreffen statt: für die Teilnehmer/-innen aus Deutschland mit Seminaren und Wanderungen, für die Petersburger Freiwilligen mit einer Exkursion zu den Orten, an denen die wichtigsten Ereignisse der Schlacht um Leningrad ihren Lauf nahmen …

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