Online-Workshop “Erinnerungskultur in Deutschland und Russland” mit dem PJR Dresden
Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Reisebeschränkungen haben internationale Veranstaltungen, Kulturprogramme und Jugendbegegnungen dieses Jahr hart getroffen. Viele Projekte wurden abgesagt, ins Online-Format übertragen oder auf unbestimmte Zeit verschoben – so auch der geplante Austausch “Ich bin die Zeit” mit unserer Partnerorganisation “Politischer Jugendring Dresden e.V.” (PJR). Ursprünglich wollten wir uns schon im März 2020 in Sankt Petersburg treffen, um gemeinsam Gedenkstätten für die Opfer der Leningrader Blockade zu besuchen. Anschließend sollte der zweite Teil des Programms im August 2020 in Dresden stattfinden und ganz im Zeichen der Friedlichen Revolution von 1989/90 stehen. Aus den bekannten Gründen musste die Jugendbegegnung verschoben werden; momentan hoffen wir auf eine Durchführung im Sommer 2021.
Um den deutsch-russischen Dialog in der Zwischenzeit nicht ganz erkalten zu lassen und potenziellen Teilnehmer/-innen schon mal einen Vorgeschmack auf den bevorstehenden Jugendaustausch zu gönnen, haben wir Anfang November gemeinsam mit dem PJR den Online-Workshop “Erinnerungskultur in Deutschland und Russland” organisiert. Am 6. und 7. November 2020 trafen sich 21 deutsche und russische Teilnehmer/-innen sowie 4 Organisatorinnen über Zoom und diskutierten kontroverse Fragen rund um sogenannte “Erinnerungsorte”.
Der erste Seminartag wurde vom Dresdner Orga-Team gestaltet. Bei der ausführlichen Kennenlernrunde durften wir einmal mehr erfahren, dass Online-Formate trotz des Mangels an persönlichem Kontakt die Menschen doch auch näher zusammenbringen: Eine Teilnehmerin war von ihrem gegenwärtigen Aufenthaltsort in Schweden zugeschaltet, eine andere sogar aus China. Um uns auf das Thema einzustimmen, wurde im Anschluss kräftig gebrainstormt. Dabei zeigte sich, dass die Teilnehmer/-innen mit dem Begriff “Erinnerungskultur” ganz verschiedene Assoziationen verbanden: Es wurden sowohl Familiengeschichten als auch Bücher, Filme, Rituale und sogar patriotische Erziehung in der Schule genannt. Nach einem kurzen wissenschaftlich-theoretischen Überblick, den uns Julia und Alexandra vom PJR Dresden gaben, war es auch schon Zeit für die Mittagspause - doch auch diese verlief nicht ohne Aufgabe zum Nachdenken: Die Teilnehmenden waren aufgefordert, sich in Vorbereitung auf die Nachmittagssession schon einmal darüber Gedanken zu machen, welches die wichtigsten kollektiven “Erinnerungsorte” ihres Landes sind.
Die Ergebnisse dieses Denkprozesses wurden nach dem Mittagessen in den jeweiligen nationalen Gruppen visualisiert und anschließend den anderen vorgestellt. Hierauf ergab sich eine angeregte Diskussion, denn interessanterweise hatte die russische Gruppe ausschließlich materielle Erinnerungsorte (z.B. den Kreuzer Aurora, den Mamajew-Hügel und die Wohnung von Tanja Sawitschewa) gewählt, wohingegen die deutschen Teilnehmenden auch immaterielle Erinnerungsorte (den 8. Mai als “Tag der Befreiung”, die 68er-Bewegung mit ihren politischen Implikationen oder die deutsche Nationalhymne) auf ihrer Liste hatten. Unter dem Stichwort “КОИТRОVЕRS” drehte sich die Diskussion danach um kontroverse Erinnerungsorte in unseren beiden Ländern, wie etwa die Berliner Mohrenstraße, die Paraden zum Tag des Sieges oder das Thema “Ostalgie”.
Die Auswertung am Ende des ersten Seminartags zeigte, dass alle einen weitgehend positiven Eindruck von der Veranstaltung hatten.
Der zweite Seminartag wurde vom Projektteam der “Humanitären Geste” organisiert und war daher ganz dem Thema “Erinnerung an die Leningrader Blockade” gewidmet. Nach einem kurzen Warm-Up erhielten die Teilnehmer/-innen in ihren nationalen Gruppen eine kurze Einführung zur Geschichte der Blockade. Die russische Gruppe diskutierte zudem noch mit Julia vom PJR Dresden darüber, wie und warum das Thema Blockade im Geschichtsunterricht an deutschen Schulen behandelt bzw. nicht behandelt wird. Danach bereiteten die Teilnehmer/-innen in gemischten deutsch-russischen Gruppen Kurzpräsentationen zu verschiedenen Symbolen der Leningrader Blockade vor. Sie berichteten u.a. über die Rolle des Metronoms für die Bewohner der belagerten Stadt, das Blockadebrot, die Aufführung von Schostakowitschs 7. Sinfonie und den legendären LKW “Polutorka” (dt. “Anderthalbtonner”, mehr dazu nächste Woche in unserem Blog).
Da das Thema “Leningrader Blockade” sehr umfangreich ist, wurde am Ende leider – wie auch schon am ersten Seminartag – die Zeit etwas zu knapp, um eine Abschlussdiskussion zu führen. Hierin liegt definitiv einer der größten Vorteile des “analogen” Jugendaustauschs: In den Pausen des offiziellen Programms haben die Teilnehmer/-innen im Live-Format die Möglichkeit, interessante Fragen und Debatten nochmals im eher informellen Rahmen aufzugreifen und zu vertiefen. Wir hoffen daher sehr auf eine Fortsetzung des begonnenen Austauschs im Sommer 2021! Sobald die offiziellen Daten feststehen, veröffentlichen wir alle Infos zu Bewerbungs- und Teilnahmebedingungen hier in unserem Blog. Bleibt also auf dem Laufenden!