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Erfahrungsberichte zum journalistischen Freiwilligenprogramm. Teil 1

Erfahrungsberichte zum journalistischen Freiwilligenprogramm. Teil 1.

In einem früheren Artikel haben wir bereits von der erfolgreich verlaufenen Pilotphase unseres Freiwilligenprogramms für angehende Journalist/-innen berichtet. Wie sehr dieses Programm die Teilnehmenden aber tatsächlich geprägt hat, wurde uns beim Lesen ihrer Erfahrungsberichte noch einmal nachhaltig klar. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, diese Texte, welche die Teilnehmenden nach ihrer Rückkehr nach Deutschland geschrieben und an uns geschickt haben, auch den Leserinnen und Lesern unseres Blogs zugänglich zu machen.

Den Anfang macht Lale Ohlrogge, die ab November 2019 am journalistischen Freiwilligenprogramm im Rahmen des Projekts “Humanitäre Geste” teilgenommen hat.

“St. Petersburg! Die alte Zarenstadt an der Newa, mit ihrer Eremitage, der Blutskirche und der Peter-und-Paul-Festung. So hatte ich die Stadt noch nach meinem 3-tägigen Trip, den ich vor vielen Jahren mit meiner Familie machte, in Erinnerung. Diesem dürftigen Eindruck, den ich mir auch in jedem Reiseführer hätte anlesen können, sollten aber im November 2019, als ich meinen Freiwilligendienst beim drb begann, viele wertvolle und prägende Erfahrungen hinzugefügt werden.

Das Projekt “Humanitäre Geste” soll aufklären und Brücken schlagen. In meinem Fall tat es genau das und noch viel mehr. Die Leningrader Blockade war eine der größten humanitären Katastrophen, die die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg zu verschulden hatte. Am 8. September 1941 begannen Hitlers Truppen, das damalige Leningrad zu belagern. Ziel war es, die Bewohner der Stadt auf grausamste Weise aushungern zu lassen. Diese Informationen hatte ich noch aus der Schule. Doch was heißt das genau? Wie sieht ein Leben aus in einer Stadt, die eingeschlossen ist? Was bedeutet es, Hunger zu haben, weil keine Lebensmittel mehr von außerhalb in eine Stadt gebracht werden können? Was bedeutet es, immer frieren zu müssen, weil das Brennholz nach einigen Wochen aufgebraucht ist und kein neues mehr nachgeliefert werden kann? Wie ist es, nicht schlafen zu können, weil tönende Sirenen vor dem nächsten Bombenangriff warnen? Und wie ist es, durch eine Stadt zu laufen, in welcher Leichen über Monate auf den Bürgersteigen liegen, weil keiner der Menschen die Kraft aufbringen kann, sie zu begraben? Fragen wie diese habe ich mir, wie vermutlich viele andere Deutsche auch, lange nicht gestellt. Bis ich Teilnehmende des Projektes wurde.

Mein Aufenthalt in Russland begann im November 2019 und war für zwei Monate angesetzt. Direkt zu Beginn gab es viele Vorträge, welche uns an das Thema heranführten. Wir wurden über die geschichtlichen Zahlen und Fakten sowie über die geografischen Gegebenheiten der Blockade informiert. Wir erfuhren, dass zwischen 600.000 und 1,5 Millionen Menschen in den drei Jahren der Belagerung ihr Leben ließen. Ich hörte zum ersten Mal von der Straße des Lebens, dem Ladoga-See, über welchen die Menschen evakuiert wurden, und von öffentlichen Parks, die zu Kohlfeldern umfunktioniert wurden.

Nach diesem Ausbau meines zuvor unzureichendem geschichtlichen Vorwissens bekamen wir erstmalig die Möglichkeit, mit Zeitzeugen zu sprechen. Erst durch diese Gespräche entwickelte sich bei mir eine vage Vorstellung vom Leben und vom Alltag im belagerten Leningrad. Einblicke, die anders wohl nur schwer zu gewinnen sind. Mein Freund und Mitfreiwilliger Martin und ich wollten es trotzdem versuchen. Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, Menschen in Deutschland ähnliche Einblicke zu verschaffen oder zumindest Fragen aufzuwerfen. Wir entschieden uns dazu, einen Kurzfilm mit drei ausgewählten Zeitzeugen zu drehen. Der entsprechende Cast für dieses Vorhaben stand nach kurzer Zeit, schließlich wollten auch die Augenzeugen, dass ihre Geschichte gehört wird. Auch auf Produktionsseite standen uns dank der Unterstützung und des großen Vertrauens vonseiten des drb keine Hindernisse im Wege. Die Dreharbeiten verliefen soweit reibungslos und wir schufen einen Film, welcher am 27. Januar, dem Tag der Befreiung Leningrads, im Kreise einiger Zeitzeugen, Vertretern des Auswärtigen Amtes, der GIZ und Freunden im drb Premiere feiern durfte. Hier war natürlich unsere größte Angst, dass unsere Protagonisten sich und ihre Erinnerungen als falsch dargestellt empfinden könnten. Diese Angst stellte sich als unbegründet heraus. Viele der Zeitzeugen bedankten sich für unsere Arbeit und auch unsere Protagonisten waren hellauf begeistert.

Einen Tag später sollten wir abreisen. Zurück in Deutschland zeigte ich natürlich auch meiner Mutter den Film, welche ungefähr genauso viel über die Blockade wusste, wie ich vor drei Monaten. Sie war schockiert, traurig und berührt. Aber sie hatte auch viele Fragen und das ist gut. Sie ging ins Internet und googelte „Leningrader Blockade.“”

Lale Ohlrogge, Teilnehmerin des Freiwilligenprogramms für angehende Journalist/-innen

Auch das Deutsch-Russische Begegnungszentrum bedankt sich herzlich bei Lale: für ihre Teilnahme an unserem Pilotprogramm, für ihr Engagement bei der Auseinandersetzung mit der deutsch-russischen Geschichte und natürlich für den von Lale und ihrem Mitfreiwilligen Martin gedrehten Kurzfilm, der nicht nur dazu beitragen wird, die Erinnerungen von Zeitzeugen an die Leningrader Blockade für die Nachwelt zu erhalten, sondern sie zudem einem deutschen Publikum zugänglich zu machen. Sobald alle Übersetzungs- und Korrekturarbeiten abgeschlossen sind, werden wir den Film selbstverständlich auf dem Youtube-Kanal des Projekts “Humanitäre Geste” veröffentlichen – darum empfehlen wir allen, die den Film nicht verpassen möchten, unseren Kanal zu abonnieren.

In unserem nächsten Artikel wird Martin Schmitz, ein weiterer Teilnehmer des Programms, von seinen Eindrücken und Erfahrungen aus Sankt Petersburg berichten.