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„Ich bin die Zeit “: Jugendaustausch mit Dresden. Resümee zu Teil 1

„Ich bin die Zeit “: Jugendaustausch mit Dresden. Resümee zu Teil 1

Solange wir erinnern, haben wir eine gemeinsame Zukunft“ – mit diesem Zitat beendete eine der Gruppen unseres ersten großen Online-Austauschs mit Dresden ihre Abschlusspräsentation. Das Programm fand vom 13. bis 20. März 2021 statt und brachte junge Menschen aus Dresden und Sankt Petersburg einander näher. Organisiert wurde der Austausch vom Deutsch-Russischen Begegnungszentrum (drb) und dem Politischen Jugendring Dresden. Im heutigen Artikel berichten wir, wie unsere “Reise” verlief und was wir zusammen erreicht haben.

Das gemeinsame Projekt zwischen unseren beiden Partnerstädten zum Thema Erinnerungskultur war bereits für das Frühjahr 2020 geplant gewesen. Die Dresdner Teilnehmer/-innen hatten schon ihre Tickets gekauft und waren startklar, als aufgrund der Pandemie die Grenzen geschlossen wurden. Leider musste das Projekt auf unbestimmte Zeit verschoben werden.

Als unser Orga-Team sich im Herbst traf, entschieden wir, das Projekt im Online-Format durchzuführen. Und so wurden die Daten festgelegt, die Teilnehmenden ausgewählt und das Projekt konnte beginnen.

Die zentralen Themen des Austauschs waren die Leningrader Blockade und die Friedliche Revolution in Dresden. In den ersten Tagen diskutierten wir über die Bedeutung von historischer Erinnerung und sprachen über wichtige Orte in der Geschichte von Dresden und Sankt Petersburg. Anschließend setzten wir uns ausführlicher mit den beiden Themen – der Blockade und der Friedlichen Revolution – auseinander. Ab dem vierten Tag arbeiteten wir mit Erinnerungen, denn die Teilnehmenden standen vor einer wichtigen Aufgabe: Zum Abschluss des Programms sollten sie eine Performance zeigen, die auf den Erinnerungen von Zeitzeugen aufbaut. Während des Prozesses hatten die Teilnehmenden auch die Möglichkeit, mit einem Zeitzeugen der Ereignisse der Friedlichen Revolution zu sprechen.

Die Teilnehmer/-innen aus Sankt Petersburg trafen sich auch offline, nämlich zu einer Exkursion durch das Stadtzentrum. Wir besuchten bereits bekannte Orte und erfuhren, welche Rolle sie zur Zeit der Leningrader Blockade spielten.

Am Samstag, den 20. März, präsentierten die Teilnehmenden ihre Performances. Als Orga-Team waren wir begeistert vom durchgängig hohen Niveau der Darbietungen.

Eine Gruppe bereitete eine interaktive Präsentation vor, die Video- und Texteinblendungen enthielt und auf den Erinnerungen der Großmutter einer Teilnehmerin basierte. Dabei handelte es sich um Erinnerungen an die Zeit der Blockade. Eine andere Gruppe behandelte ebenfalls dieses Thema und berichtete von ihrem Plan, gemeinsam zum zweiten Teil des Projekts einen kurzen Animationsfilm zu erstellen.

Die Teilnehmer/-innen des Austausch kamen hauptsächlich aus Sankt Petersburg und Dresden, doch wir lieben auch Ausnahmen: Einige Teilnehmende vertraten andere russische Städte und von deutscher Seite gab es einen Teilnehmer aus Italien. In einer solchen Gruppe kam natürlich eine wahrhaft internationale Performance zustande: Alle Mitglieder der Gruppe lasen Erinnerungen ihrer Verwandten an den Zweiten Weltkrieg vor – in ihrer Muttersprache wie auch in den Sprachen der anderen Teilnehmer/-innen.

Bei der Performance der vierten Gruppe versetzten wir uns mental in eine Schulstunde, in der jede/-r einen kurzen Bericht zu einem bestimmten Aspekt des Themas geben konnte.

Johann Schmolke, ein Teilnehmer des Projekts, hat sogar ein Gedicht verfasst, das wir mit seinem Einverständnis hier veröffentlichen:

Der Winter naht 
die Schneeflocken fallen 
umzingelt ringsum 
liegt Leningrad. 

Im Norden die Finnen 
im Süden die Wehrmacht 
im Osten und Westen 
das eisige Nass. 

Die Vorräte schwinden 
der Nachschub blockiert 
der See fast zu stürmisch
für Schiffe zu queren. 

Die Rationen, sie schrumpfen 
von Woche zu Woche 
das Wasser trieft feucht 
vom Blockadebrot. 

Und das Metronom 
schlägt den Takt unsrer Herzen. 

Die Kälte greift um sich
mit langgliedrigen Fingern 
kriecht rein in die Häuser 
zerrt an den Klamotten.

Umschließt auch das Öfchen
mit Büchern gefüttert
und zwingt die Zitternden 
noch näher heran. 

Das Leben wird zu kurzen Formeln: 
Brot ist Leben. 
Marken sind heilig. 
Mit anderen teilen 
zumeist unverzeihlich.

Fallen ist tödlich
im eisigen Schnee 
und fällt jemand andres: 
Geh weiter, nur geh! 

Und das Metronom 
schlägt den Takt unsrer Schritte.

Der Winter, so tödlich 
birgt Hoffnung zugleich 
denn die Decke von Eis
macht passierbar den See. 

Und mit Lastern beginnt nun 
die Flucht aus der Stadt
auf der Straße des Lebens 
auf der Straße des Todes. 

Von Bomben erschüttert 
reißen Krater sich auf 
schlucken ganze Gefährte 
in die Tiefe des Sees. 

Und das Metronom 
schlägt den Takt unsrer Furcht.

Der Frühling naht
und die Schneemassen schmelzen
zum Vorschein kommen 
die Opfer des Eises. 

Fast verloren geglaubt 
blüht Hoffnung noch auf 
in Parks und in Gärten
wird Gemüse gepflanzt. 

Und eines Tages erschallt 
wie von himmlischen Chören
als Zeichen des Lebens 
Schosta’s Melodie. 

Und das Metronom 
schlägt den Takt unsrer Hoffnung.

(Johann Schmolke)

* Gemeint ist Dmitri Schostakowitsch, der Komponist der Siebten (Leningrader) Sinfonie.

Wir danken allen für ihre Teilnahme und warten bereits ungeduldig auf den zweiten Teil des Projekts im Juli!